Gattung | Gemälde |
Material | Öl auf Leinwand |
Maße | 99 x 80,5 cm |
Signatur | signiert und datiert unten links: J. Scharl 1927 |
Forschungsstand
Die Provenienz ist ungeklärt und wird weiter erforscht.
Unter Freunden
Das Werk stammt aus dem Nachlass des Künstlers, besagt ein Schreiben der Galerie Nierendorf von 1987. Das Werkverzeichnis zu Josef Scharl aus dem Jahr 1999 benennt Lotte Jacobi (1896–1990) in Berlin als Vorbesitzerin.
Mitte der 1920er Jahre traf Josef Scharl die Fotografin Lotte Jacobi. Sie wurde in dieser Zeit mit ihren Porträts von Künstler*innen und Intellektuellen bekannt. Im renommierten Berliner Fotoatelier der Familie Jacobi auf dem Kurfürstendamm 35 lernte Scharl wichtige Persönlichkeiten kennen: den Politiker Gustav Böß etwa, dessen Porträt er 1927 malte, oder den Berliner Galeristen Karl Nierendorf (1889–1947), bei dem Scharl in der Folge ausstellte.
Noch 1933 und 1935 richtete die Galerie Neumann-Nierendorf für Josef Scharl Einzelausstellungen aus. Unter dem zunehmenden Druck der Nationalsozialisten, die seine Kunst als „entartet“ bezeichneten, emigrierte der Künstler 1938 nach New York. Zu diesem Zeitpunkt war es ihm kaum noch möglich, Werke auszustellen oder gar zu verkaufen. Karl Nierendorf war schon 1936 nach New York gegangen.
Als Jüdin sah sich auch Lotte Jacobi zur Emigration gezwungen. Sie flüchtete bereits 1935 nach New York, wo sie weiterhin erfolgreich als Fotografin arbeitete. Somit lebten Nierendorf, Scharl und Jacobi wieder in derselben Stadt.
Doch wie gelangte das Böß-Porträt in die Galerie Nierendorf? Welcher Art war Jacobis geschäftliche Beziehung zu dem Galeristen? Könnte es sein, dass die Fotografin nach Scharls frühem Tod 1954 zunächst dessen künstlerischen Nachlass verwaltete und ihn später an die Galerie Nierendorf übergab?
Der von Scharl porträtierte Gustav Böß (1873–1946) war Jurist, Kommunalpolitiker der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und von 1921 bis 1929 Oberbürgermeister von Berlin. Sein Amt musste er kurz nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise wegen des Sklarek-Skandals niederlegen. Die Brüder Sklarek hatten sich ein Monopol für Bekleidungslieferungen an städtische Betriebe verschafft, Politiker*innen und Beamt*innen bestochen und Kreditbetrug begangen. Auch Böß war in den Skandal verwickelt – seine Frau hatte einen vergünstigten Pelzmantel erworben.
1933 rollten die Nationalsozialisten den Fall erneut auf. Gustav Böß wurde festgenommen. Erst nach neun Monaten Untersuchungshaft kam er frei. Er zog 1934 zunächst nach München und von dort an den Starnberger See, wo er 1946 starb.