Es war ein gesellschaftliches Ereignis allerersten Ranges, die Enthüllung des Denkmals für den Komponisten Richard Wagner am 1. Oktober 1903. In Auftrag gegeben hat das eindrucksvolle Denkmal wie auch das große Gemälde der Kosmetikfabrikant und frühere Opernsänger Ludwig Leichner – ein Beispiel dafür, wie mäzenatisches Engagement, aber auch das Bedürfnis nach Repräsentation vom Adel auf das Bürgertum überging. Sein Vermögen verdankte Leichner der Erfindung und Herstellung von bleifreier Theaterschminke. Um das Geschehen im Berliner Tiergarten festzuhalten und seine Firma mit dem Werk zu dekorieren, wandte sich der Industrielle an den angesehenen Hofmaler Anton von Werner (1843 – 1915). Fünf Jahre lang arbeitete der Künstler an dem raumgreifenden Bild, das über drei Meter in der Breite misst. Für die Sammlung der Berlinischen Galerie ist es ein Schlüsselwerk: Es repräsentiert den Zeitstil um 1900 – und das genaue Gegenteil der modernen Tendenzen, die sich um die Jahrhundertwende in Berlin durchzusetzen begannen. Während beispielsweise die Impressionist*innen Lichtstimmungen in flirrenden Farbtupfen einfingen, stellte von Werner die feierliche Szene mit geradezu fotografischer Genauigkeit dar. Hell erstrahlt das Monument in der milden Herbstsonne, doch mindestens genauso wichtig sind die zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die der Maler hier porträtiert.
Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten
1908
Öl auf Leinwand
227 x 312,3 cm
Erworben aus Mitteln der Stiftung DKLB und aus Mitteln des Senators für Wissenschaft und Kunst, Berlin 1975
Das Denkmal
Überlebensgroß thront die Marmorfigur des Komponisten auf einem reich verzierten Sockel. In erhabener Pose, den Blick in die Ferne gerichtet, hat Richard Wagner seine rechte Hand zur Faust geballt. Sie liegt auf einen Stapel Notenblätter – eine energische Geste, die Anton von Werner auf seinem Gemälde durch Licht und Schatten besonders hervorhebt. Das Monument stammt von dem damals überaus erfolgreichen Bildhauer Gustav Eberlein. Er stilisiert Wagner, umgeben von Figuren aus seinen Opern, als Heroen der Musik. Das entsprach ganz dem Zeitgeist und Geschmack um 1900.
Die feine Gesellschaft
Weit über 100 Gäste sind rund um das Richard-Wagner-Denkmal versammelt. Dem Anlass entsprechend haben sie sich festlich herausgeputzt: Die Herren tragen Frack oder Uniform, die Damen enggeschnürte, spitzenbesetzte Kleider und aufwendig geschmückte Hüte. Die Person außerhalb der Menschenmenge am Fuße des Sockels ist der Auftraggeber von Denkmal und Bild, Ludwig Leichner. Mit einer leichten Verbeugung weist er auf die Statue des Komponisten. Hinter ihm steht eine Gruppe angesehener Berliner Künstler, darunter Gustav Eberlein, der Schöpfer des Denkmals. Rechts begrüßt Prinz Eitel Friedrich, Sohn von Kaiser Wilhelm II., den Mäzen.
Der Maler
Wie kein Zweiter repräsentiert Anton von Werner Kunst und Kunstpolitik unter Kaiser Wilhelm II. Berühmt wurde er mit Historiengemälden, in denen er wichtige geschichtliche Ereignisse detailreich schilderte. Von 1875 bis zu seinem Tod 1915 war von Werner Direktor der Königlichen Hochschule der bildenden Künste und hatte weitere wichtige Ämter inne. Seine Kunstauffassung kam dem konservativen Geschmack von Adel und Großbürgertum entgegen. Für die aufkommende Moderne hatten weder der Kaiser noch sein Hofmaler Verständnis.
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