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Onlinepräsentation

Ruth Hildegard
Geyer-Raack

Raumgestaltung, 1920er bis 1950er Jahre

Ruth Hildegard Geyer-Raack (1894–1975) war in der Weimarer Republik eine weit über Berlin hinaus bekannte Innenarchitektin, Wandmalerin und Designerin. Sie hatte sich auf hochwertige und anspruchsvolle Raumausstattungen spezialisiert. Ihre sachlich-eleganten Entwürfe brachten gegensätzliche moderne Einrichtungsstile wie Bauhaus und Art Déco in harmonischen Einklang.

Ruth Hildegard Geyer-Raack, Musterentwurf für Stoff oder Tapete, um 1930

Ruth Hildegard Geyer-Raack, Musterentwurf für Stoff oder Tapete, um 1930

© Rechtsnachfolger*innen Ruth Hildegard Geyer-Raack, Repro: Anja E. Witte

„Mit der erstmaligen Präsentation von Werken Geyer-Raacks aus unserem Bestand möchten wir an eine heute fast vergessene Raumgestalterin erinnern und Impulse für vertiefende Forschungen geben.“

Ursula Müller, Kuratorin, Berlinische Galerie

Ruth Hildegard Geyer-Raack (1894–1975) war eine renommierte Innenarchitektin und Designerin für Wandmalereien, Stoffe, Tapeten und Möbel. Sie hat Malerei an der „Unterrichtsanstalt“ des Berliner Kunstgewerbemuseums studiert. Diese wurde von dem Architekten und Möbeldesigner Bruno Paul (1874–1968) geleitet, mit dem Geyer-Raack später zusammenarbeitete.

1920 und 1921 nahm sie in den Sommersemestern an Kursen am Bauhaus Weimar teil und reiste zu Studienzwecken mehrfach nach Paris. 1924 eröffnete Geyer-Raack in Berlin ihr eigenes Atelier. Sie spezialisierte sich auf hochwertige Raumgestaltungen für eine anspruchsvolle Lebenshaltung.

Als künstlerische Leiterin der Internationalen Raumausstellung 1931 in Köln wurde sie weit über Berlin hinaus bekannt. Dort zeigte sie einen vielfältigen Querschnitt aktueller Wohnideen der internationalen architektonischen Avantgarde. In Folge der Wirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs gingen ihre Aufträge deutlich zurück. Wenige Monate nach Hitlers Ernennung zum neuen Reichskanzler trat sie am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein und war Mitglied in den nationalsozialistischen Einrichtungen NS-Frauenschaft, NS-Volkswohlfahrt und Reichskulturkammer. Am 28.9.1948 wurde Geyer-Raack entnazifiziert. 1955 erblindete sie auf einem Auge. Sie arbeitete jedoch weiter bis zu ihrem Lebensende 1975.

„Geyer-Raack gehört zu den herausragenden Protagonistinnen der Raumgestaltung, deren Wiederentdeckung den Blick auf die Moderne vervollständigt und erweitert.“

Klára Němečková, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

„Neben den Ensembles aus feinen Art-Deco-artigen Möbeln, sind es diese wandfüllenden Gemälde mit Landschaften oder mit Frauen(-Akten) in Landschaften, die einen filmreifen Hintergrund begehrenswerten Wohnens liefern.“

Nina Wiedemeyer, Kuratorin, Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung Berlin

Eine andere Moderne?

In den 1920er und 1930er Jahren setzte sich Geyer-Raack mit großflächigen, farbigen Wandmalereien von den ungeschmückten Architekturen der Bauhaus-Schule ab. Blühende Pflanzen, zarte Schmetterlinge, schemenhafte Figuren und ferne Berglandschaften verleihen ihren Raumgestaltungen eine paradiesische Atmosphäre.

Die Schlafzimmer gestaltete die Künstlerin dagegen meist schlichter. So bemalte sie etwa die Wände ihres eigenen Schlafraums mit einem zurückhaltenden geometrischen Muster. Auch präsentierte sie in den „Meisterräumen“ allein den Schlafraum der Dame mit weißen Wänden. Die getönten Malereien im angrenzenden Wohnraum bildeten hierzu einen wirkungsvollen Kontrast.

„Sie hat die Räume als Gesamtheit verstanden: Möbel, Wandgestaltung und Raumatmosphäre waren ihr gleichermaßen wichtig.“

Angelika Nollert, Direktorin, Die Neue Sammlung – The Design Museum, München

Einst international bekannt, heute vergessen?

Auf der Suche nach einem neuen zeitgemäßen Wohnideal initiierte das Möbelhaus Schürmann 1931 in Köln die Internationale Raumausstellung. Die künstlerische Leitung hatte Ruth Hildegard Geyer-Raack inne. Sie präsentierte dort als einzige Frau - neben renommierten Architekten wie Bruno Paul (1874 - 1968), Adolf Loos (1870 - 1933), Le Corbusier (1887 - 1965) und Marcel Breuer (1902 - 1981) - auch eigene Gestaltungsvorschläge.

„Mich würde interessieren wie Geyer-Raacks Karriere in den 1930er Jahren verlief. Sie war Mitarbeiterin der Deutschen Werkstätten in Hellerau. Einem Ort, an dem sich fortschrittliche Haltungen und völkische Vorstellungen mischten.“

Nina Wiedemeyer, Kuratorin, Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung Berlin

Für wen hat sie gearbeitet?

Geyer-Raack entwarf moderne Druckdesigns für die Gestaltung von Innenräumen im Auftrag bekannter Firmen, wie Deutsche Werkstätten Textilgesellschaft mbH (DeWeTex), Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk (VW) oder Gebrüder Rasch. Die Muster verbinden oft traditionelle florale Motive mit geometrischer Abstraktion.

Dass sie im nationalsozialistischen Deutschland auch an Malereien für Innenräume von Gebäuden der Luftwaffe und an der Umgestaltung von Räumen im Krakauer Wawel-Schloss für den nationalsozialistischen Kriegsverbrecher Hans Frank (1900-1946) beteiligt war, ergaben aktuelle Forschungen der Berliner Journalistin Ida Luise Krenzlin im Zuge dieser Ausstellung.

Ruth Hildegard Geyer-Raack, Stoffcoupon und Papierentwurf mit Tulpen, Azaleen, Fleißigen Lieschen und Vergissmeinnicht, um 1932

Ruth Hildegard Geyer-Raack, Stoffcoupon und Papierentwurf, um 1932

© Rechtsnachfolger*innen Ruth Hildegard Geyer-Raack, Repro: Anja E. Witte
Ruth Hildegard Geyer-Raack, Stoffcoupon und Papierentwurf mit Tulpen, Azaleen, Fleißigen Lieschen und Vergissmeinnicht, um 1932

 

Das Grundmuster des hier gezeigten Textils umfasst vertikale Säulen aus dicht verschlungenen Blüten, Zweigen und Blättern in Grün-, Rot-, Weiß- und Blautönen. In unterschiedlicher Breite gliedert diese rhythmisch sich wiederholende Ornamentik einen hellen Hintergrund.

 

„Geyer-Raack ist Profiteurin. In den auftragsarmen Kriegszeiten malt sie eine Fliegerschule aus. Auch einen Auftrag im besetzten Polen nimmt sie an. Ob sie Skrupel hatte?“

Ida Luise Krenzlin
Journalistin, Autorin und Redakteurin, Berlin

Was ist das besondere an ihren Mustern?

Einige Entwürfe Geyer-Raacks prägt eine dichte Verteilung der Muster über die gesamte Oberfläche des Rapports. Diese meist mehrfarbigen Designs gestaltete die Künstlerin mal floral oder grafisch abstrakt, mal imitierte sie die Fellzeichnung von Tieren.
Produzent ihres Entwurfs „Madagaskar“, von dem hier zwei Farbvarianten zu sehen sind, war der Bremer Textilhersteller Wilhelm Cronjäger. Unregelmäßige Felder in warmen Farbtönen, auf denen Flecken, Punkte, Ringe, Sterne und Blattzweige erkennbar sind, fügen sich hier puzzleartig zusammen. Der Entwurf wurde bei der Stoffherstellung auf Zellwolle gedruckt – einer damals neuartigen aus Holz hergestellten Kunstfaser.

„Im textilen Bereich konnte gerade ihre malerische Fähigkeit zur Entfaltung kommen. Die von ihr entworfenen Druckstoffe mit floralen Motiven sind Dekorationsstoffe im besten Sinn.“

Judith Raum, Künstlerin und Autorin, Berlin

Und ihr Werk nach dem Krieg?

Gemäß den Designvorstellungen der Zeit arbeitete Geyer-Raack nach ihrer Entnazifizierung am 28. September 1948 wieder vermehrt geometrisch abstrakt. Für die rasche und preiswerte Serienproduktion von Stoffen und Tapeten entwarf sie vereinfachte Muster aus Kreisen, Dreiecken oder linearen Strukturen. Um eine kühle Strenge in ihren Designs zu vermeiden, verwandte sie auch geschwungene dünne Linien. Sie kombinierte diese mit weiterhin zurückhaltenden, freundlichen und warmen Farbtönen. So entstand eine weiche und moderne Formensprache.

 

 

 

 

 

In den 1950er Jahren entwarf Geyer-Raack für die Galerie Bremer, einem kulturell bedeutenden Treffpunkt West-Berlins, auch eine Kollektion von Regalen, deren Merkmal in markanten Schrägen liegt. Zu dieser Zeit entwarf sie außerdem das Interieur im „Hotel am Zoo“ und der Jugoslawischen Gesandtschaft in Berlin mit filigranen Möbeln aus weißlackierten Eisenstäben.

„In meiner Masterarbeit analysiere ich die vielfältigen Originale Geyer-Raacks in der Berlinischen Galerie. Dabei möchte ich bestehende Stilbegriffe und Narrative kritisch hinterfragen und die Stellung der Frau in der Designgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts beispielhaft herausarbeiten.“

Rahel Gugelmann
Studentin der Kunstgeschichte, Universität Bern

Biografie


Ruth Gertrud Hildegard Raack wurde am 16. Juni 1894 in Nordhausen am Harz als Tochter von Richard Raack und Therese Raack geb. Panzer geboren. Ihre Geschwister sind Gertrud Raack und Joachim Raack (1901-1997). Der Umzug ihrer Familie brachte sie 1913 nach Berlin, wo der Vater als Superintendent der evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg arbeitete. Hier studierte sie an der Unterrichtsanstalt des Staatlichen Kunstgewerbemuseums unter Emil Rudolf Weiß (1875–1942). Die Leitung dieser Schule hatte seit 1907 der Architekt und Möbeldesigner Bruno Paul (1874–1968) inne, mit dem die Künstlerin später auch beruflich zusammen arbeitete. 1920/21 nahm sie an Kursen des Bauhauses in Weimar teil.

Zwei Jahre nach ihrer Heirat am 2. September 1922 mit Hugo Wilhelm Geyer (1884–1975), Fliegeroffizier und späterer Ministerialdirigent der deutschen Luftwaffe, eröffnete sie unter ihrem neuen Namen Geyer-Raack ihr eigenes Atelier in Berlin-Westend, Reichstraße 4. 1925 wird sie Mitglied im Deutschen Werkbund und 1928/29 Mitarbeiterin der Deutschen Werkstätten Hellerau. Bis in die 1930er Jahre reiste sie zu Studienzwecken mehrfach nach Paris, der damaligen Hochburg des Art Déco-Stils. Dort lernte sie den Architekten und gebürtigen Ungarn André Sivé (Geburtsname: András Szivessy) kennen, dessen Möbelentwürfe sie in Ausstellungen mit ihren Wandmalereien ergänzte.

Eine weitreichende publizistische Präsenz ab 1928 in bekannten Fachzeitschriften wie „Innendekoration“, „Dekorative Kunst“ oder „Das Ideale Heim“ brachten Geyer-Raack zahlreiche Aufträge ein. Es entstanden Raumgestaltungen in Landhäusern, öffentlichen Gebäuden und Passagierschiffen. Des Weiteren entwarf sie Stoffe und Tapeten für Firmen wie u. a. „Deutsche Werkstätten Textilgesellschaft“ (DeWeTex), Tapetenfabrik „Gebr. Rasch“, „Zimmer & Rohde“. Als künstlerische Leiterin der „Internationalen Raumausstellung“ in Köln wurde sie überregional bekannt. Dort zeigte sie einen vielfältigen Querschnitt aktueller Wohnideen der internationalen architektonischen Avantgarde.

Mit einsetzender Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit schwand die Käuferschaft für eine anspruchsvolle Raumkunst. Recherchen der Berliner Journalistin Ida Luise Krenzlin zufolge trat Geyer-Raack am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein und wurde Mitglied in den nationalsozialistischen Organisationen NS-Frauenschaft, NS-Volkswohlfahrt und Reichskulturkammer. Sie beteiligte sich an Ausmalungen von Gebäuden der Luftwaffe sowie an Raumgestaltungen im Wawel-Schloss in Krakau für den nationalsozialistischen Juristen und Kriegsverbrecher, Hans Frank (1900-1946). Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Geyer-Raack vor allem für die boomende Textil-, Tapeten- und Möbelindustrie. Bis zu ihrem Tod in Berlin am 19. März 1975 konnte sie jedoch an ihre Erfolge aus der Zeit um 1930 nicht mehr anschließen. Arbeiten der Künstlerin sind heute in renommierten Sammlungen vertreten, unter anderem im Bauhaus-Archiv Berlin, im Kunstgewerbemuseum Dresden, in der Neuen Sammlung für angewandte Kunst in München, im Tapetenmuseum Kassel oder im Art Institute of Chicago.

Expertinnen im Gespräch

mit Ursula Müller, Leitung Architektursammlung

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Gesammelte Werke von Ruth Hildegard Geyer-Raack

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