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Rückblick

Edvard Munch

Zauber des Nordens

Edvard Munch, Rot und Weiß, 1899–1900

Edvard Munch, Rot und Weiß, 1899–1900

© Foto: MUNCH, Oslo / Halvor Bjørngård

Edvard Munchs (1863–1944) radikale Modernität der Malerei forderte die Zeitgenoss*innen heraus. Das gilt insbesondere für die Berliner Kunstszene um die Jahrhundertwende, auf die der norwegische Symbolist großen Einfluss nahm. Die Ausstellung „Zauber des Nordens“ ist eine Kooperation mit dem MUNCH in Oslo. Sie erzählt anhand von Malerei, Grafik und Fotografie die Geschichte von Edvard Munch und Berlin.

Wie ein Fieber hatte die Begeisterung für alles Nordische die Reichshauptstadt erfasst. Selbst der konservative „Verein Berliner Künstler“ ließ sich mitreißen und lud 1892 den noch unbekannten, jungen Maler zu einer Einzelausstellung ein. Viele Mitglieder, aber auch das Publikum waren geschockt von den farbgewaltigen Bildern, die als roh und skizzenhaft empfunden wurden. Als Folge musste die Ausstellung kurz nach der Eröffnung schließen. Munchs Werke polarisierten. Zugleich genoss der Künstler das unerwartete öffentliche Aufsehen. Er zog umgehend an die Spree, wo er von 1892 bis 1908 immer wieder über längere Zeiträume lebte und arbeitete, bevor er sich ab 1909 fest in Norwegen niederließ. Die „Affäre Munch“, wie die Presse den Vorfall ironisierte, gilt als Beginn der Moderne in Berlin.

Mit rund 60 Ausstellungen, darunter vielen Einzelpräsentationen, blieb Berlin für Munch von 1892 bis 1933 einer der wichtigsten Ausstellungsorte in Europa. Hier fand er Künstler*innen, Galerist*innen, progressive Intellektuelle und Sammler*innen, die sein Werk förderten. Hier brachte er sich in enger Zusammenarbeit mit führenden Berliner Druckereien druckgrafische Techniken bei. Hier präsentierte er seine Gemälde erstmals als zusammenhängende Bildserie. Diese für sein Werk zentrale Idee entwickelte er 1902 in einer Ausstellung der Berliner Secession zum sogenannten Lebensfries weiter. Bis zu seinem Tod sollte ihn dieses Projekt beschäftigen.

In Berlin bedeutete die Begegnung mit Munchs Werken nicht nur eine Initialzündung für die Moderne. Auch die bis dahin gängige Vorstellung vom „Zauber des Nordens“ (Stefan Zweig) erfuhr einen Wandel. Statt mit romantischen oder naturalistischen Fjordlandschaften verband man damit nun Munchs psychisch verdichtete Bildwelten. Unter der nationalsozialistischen Diktatur ab 1933 wurde der Maler zunächst von der Kulturpolitik ideologisch als „großer nordischer Künstler“ vereinnahmt, aber auch schon früh als Beispiel für „Entartung“ verfemt.

Die Ausstellung umfasst rund 80 Werke von Edvard Munch, ergänzt durch Werke anderer Künstler*innen, die Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin die Vorstellung vom Norden sowie die moderne Kunstszene an der Spree geprägt haben, darunter Walter Leistikow oder Akseli Gallen-Kallela.

Edvard Munch, Rot und Weiß, 1899–1900

Katalog zur Ausstellung

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Themen der Ausstellung

Die „Affaire Munch“

Die Begeisterung für alles Nordische hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Reichshauptstadt Berlin erfasst. „Die Besten Deutschlands, die ganze schöpferische Literatur um die Jahrhundertwende verfiel damals dem magischen Zauber des Nordens“, erinnerte sich der Schriftsteller Stefan Zweig 1925. Die Faszination erstreckte sich auch auf die bildende Kunst und war ein Anlass, den damals weitgehend unbekannten Munch für den November 1892 zu einer Einzelausstellung in den Verein Berliner Künstler einzuladen. Vorgeschlagen hatte ihn sein in Berlin und Norwegen ansässiger Landsmann Adelsteen Normann, der selbst auf populäre Fjordlandschaften spezialisiert war, die sich sehr gut verkauften – unter anderem an Kaiser Wilhelm II.

Die Berliner Kunstszene zu Beginn der 1890er Jahre war noch wenig progressiv. Sie wurde von einem auf Repräsentation und Tradition ausgerichteten Kunstgeschmack beherrscht, befördert von Kaiser Wilhelm II. und dem einflussreichen Maler Anton von Werner, der dem Verein Berliner Künstler vorstand. Die 55 Werke Munchs, die im Architektenhaus in der Wilhelmstraße präsentiert wurden, waren für Berlin so avantgardistisch und fremd, dass sie wie ein Meteorit in die Kunstwelt einschlugen und diese spalteten. Etablierte Mitglieder des Vereins empörten sich und stellten den Antrag auf sofortige Schließung. Nur wenige Tage nach ihrer Eröffnung musste die Schau wieder abgebaut werden. Mit der „Affaire Munch“, wie die zeitgenössische Presse den Skandal ironisierte, begann in der Stadt die Moderne. Munch, zu dem Zeitpunkt noch keine 30 Jahre alt, genoss die unerwartete Publicity. Er schrieb nach Hause: „Das ist übrigens das Beste, was passieren kann, bessere Reklame kann ich gar nicht haben.“ Umgehend zog er an die Spree, wo er von 1892 bis 1908 immer wieder für längere Zeit lebte und arbeitete, bevor er sich ab 1909 in Norwegen niederließ.

Munchs frühe Berliner Jahre

Während Berlin Ende des 19. Jahrhunderts sehnsuchtsvoll nach Norden blickte, übte die moderne Reichshauptstadt auch umgekehrt großen Reiz auf nordische Länder aus. Henrik Ibsen, August Strindberg oder Ola Hansson, deren Werke in ihrer skandinavischen Heimat scharf kritisiert oder zensiert wurden, fanden in Berlin Nischen und Möglichkeiten zu publizieren oder ihren Stücken, vor allem über den Verein Freie Bühne, ein Publikum zu verschaffen. Bildenden Künstler*innen bot Berlin zahlreiche Ausstellungsmöglichkeiten. Die schillernde Bohème traf sich damals in der Weinstube „Zum schwarzen Ferkel“.

Adolf Paul, ein deutsch-schwedisch-finnischer Schriftsteller, der um die Jahrhundertwende zum engeren Kreis um Edvard Munch und August Strindberg gehörte, spitzte bezogen auf Munchs frühe Berliner Jahre zu: „Die Künstler schwören alle auf Paris, und sie mögen recht haben. Aber einen Schuß Berlin müssen sie – muß ihre Kunst haben, um recht zu gedeihen. […] Von Munch, der in Paris lernte, aber in Berlin wurde!“

In der Tat hielt sich Munch ab 1889 auch mehrfach in Paris auf und studierte dort die Werke der Avantgarde, etwa von Paul Gauguin, der Künstlergruppe Nabis oder von Vincent van Gogh. Während in Paris der Symbolismus eine zentrale Rolle spielte, dominierten in Berlin um 1900 noch die Strömungen des Naturalismus und Impressionismus, und es fehlte zunächst an Verständnis für Munchs symbolistische „Malerei der Zukunft“, wie der Künstler sie selbst einmal nannte. Jedoch brachte Munch im Laufe der Jahre seine Karriere an der Spree entscheidend voran. Er war unter anderem Mitglied der Berliner Secession, des Deutschen Künstlerbunds und später auch der Preußischen Akademie der Künste. Obwohl Munchs Werke mittlerweile in vielen internationalen Schauen zu sehen waren, blieb Berlin für ihn mit rund 60 Ausstellungen zwischen 1892 und 1933, darunter viele Einzelpräsentationen, einer der wichtigsten Orte in Europa. Hier fand er progressive Intellektuelle, die sein Werk schätzten und förderten.

„Leben – Liebe – Eifersucht – Wahnsinn – Angst – Tod“

Berlin gab Munch auch den Raum, neue Ideen auszuprobieren. Bereits 1889 hatte er in Frankreich erste Notizen zu seinem späteren Hauptwerk gemacht, den erst im Rückblick sogenannten „Lebensfries“. Unter dem Titel „Studie zu einer Serie ‚Die Liebe‘“ zeigte er seine Werke erstmals als zusammenhängende Bildfolge in einer Ausstellung, für die er im Winter 1893/94 zwei Räume in einem Geschäftshaus Unter den Linden angemietet hatte – eine Strategie, die er 1895 in der Berliner Galerie Ugo Barroccio wiederholte.

Diese für sein Werk essenzielle Idee erweiterte er 1902 in einer Ausstellung der Berliner Secession zur bisher umfangreichsten „Darstellung einer Reihe von Lebensbildern“. Die Themen kreisten um „Leben – Liebe – Eifersucht – Wahnsinn – Angst – Tod“, so Munchs Freund Albert Kollmann.
In dieser Variante umfasste der Fries 22 Werke und wurde im Skulpturensaal der Secession über alle vier Wände präsentiert. Für das in Berlin noch wenig mit dem Symbolismus vertraute Publikum war es jedoch zu früh, Munchs Position schätzen und würdigen zu können. Der Kunstkritiker Hans Rosenhagen bedauerte in der Zeitschrift „Die Kunst für alle“: „Sie erkennen nicht, dass hier durch die Vereinigung von brutaler nordischer Farbenlust, Anregungen Manets und Neigung zur Träumerei etwas ganz Eigenartiges entstanden ist.“

Weitere Varianten und Frieskonzeptionen sollten folgen. Für seinen Förderer, den Lübecker Kunstsammler Max Linde, malte Munch 1904 in Berlin den sogenannten Linde-Fries als zusammenhängende Dekoration. 1906 entwickelte er für den Berliner Theatermann Max Reinhardt Bühnenentwürfe zu Ibsens Drama „Gespenster“. Außerdem erhielt er von diesem den Auftrag zur Dekoration eines Festsaals im ersten Obergeschoss der Kammerspiele, die heute als Reinhardt-Fries bekannt ist. 1913 feierte der Maler in der Berliner Secession einen großen Erfolg mit Studien für seinen monumentalen Fries zur Ausschmückung der Aula der Universität in Kristiania (heute Oslo). Die Arbeiten wurden von der Berliner Presse fast durchgängig gut besprochen. Munchs Präsenz in der Kunstszene Berlins veränderte die Vorstellung vom Norden. Statt mit romantischen oder naturalistischen Fjordlandschaften verband man damit nun seine emotional verdichteten, farbgewaltigen Bildwelten.

Munch im Nationalsozialismus

Munchs Einfluss auf die folgende Generation des Expressionismus wurde ab 1910 breit in Berlin thematisiert. Vor dieser Folie avancierte er zum Klassiker. Damit einher ging die zunehmende Vereinnahmung als „germanischer“ Künstler. Ludwig Justi, Leiter der Nationalgalerie in Berlin, richtete Munch 1927 im Kronprinzenpalais die bis dahin umfangreichste museale Einzelschau aus. Mit dieser Ausstellung repräsentierte sein Name in Berlin und Deutschland „das spezifisch nordische Weltgefühl“, wie in der Presse zu lesen war.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen wurde Munchs Kunst als„nordischgermanisch“ instrumentalisiert, aber auch schon früh als „entartet“ diffamiert. Zehn Jahre nach seinem Triumph in der Nationalgalerie wurden im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ 83 seiner Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt. Nach der Besetzung Norwegens am 9. April 1940 durch deutsche Truppen verfasste der 76-Jährige sein Testament und vermachte alle Arbeiten, auch den schriftlichen Nachlass, der Stadt Oslo. Er hegte die Hoffnung, auf diese Weise seinem „Lebensfries“ einen Ort zu geben und die Werke einem großen Publikum zugänglich zu machen.

Munch gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der europäischen Moderne. Seine Kunst weist über die eigene Zeit hinaus und beeinflusst aufgrund der ungebrochenen Aktualität seiner Themen und seiner Malerei nach wie vor die internationale Kunstszene. Zugleich haben Munchs Werke eine neue Sicht auf den Norden ermöglicht, den wir mit seinem Licht, seinen Farben und der für seine Werke charakteristischen Melancholie verbinden.

Trailer

Die Ausstellung steht unter der gemeinsamen Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Seiner Majestät König Harald V. von Norwegen.

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Eröffnung im Rahmen der Berlin Art Week

Vom 18. November 2023 bis 1. April 2024 zeigt das Museum Barberini, Potsdam die Ausstellung „Munch. Lebenslandschaft“.