Die „Affaire Munch“
Die Begeisterung für alles Nordische hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Reichshauptstadt Berlin erfasst. „Die Besten Deutschlands, die ganze schöpferische Literatur um die Jahrhundertwende verfiel damals dem magischen Zauber des Nordens“, erinnerte sich der Schriftsteller Stefan Zweig 1925. Die Faszination erstreckte sich auch auf die bildende Kunst und war ein Anlass, den damals weitgehend unbekannten Munch für den November 1892 zu einer Einzelausstellung in den Verein Berliner Künstler einzuladen. Vorgeschlagen hatte ihn sein in Berlin und Norwegen ansässiger Landsmann Adelsteen Normann, der selbst auf populäre Fjordlandschaften spezialisiert war, die sich sehr gut verkauften – unter anderem an Kaiser Wilhelm II.
Die Berliner Kunstszene zu Beginn der 1890er Jahre war noch wenig progressiv. Sie wurde von einem auf Repräsentation und Tradition ausgerichteten Kunstgeschmack beherrscht, befördert von Kaiser Wilhelm II. und dem einflussreichen Maler Anton von Werner, der dem Verein Berliner Künstler vorstand. Die 55 Werke Munchs, die im Architektenhaus in der Wilhelmstraße präsentiert wurden, waren für Berlin so avantgardistisch und fremd, dass sie wie ein Meteorit in die Kunstwelt einschlugen und diese spalteten. Etablierte Mitglieder des Vereins empörten sich und stellten den Antrag auf sofortige Schließung. Nur wenige Tage nach ihrer Eröffnung musste die Schau wieder abgebaut werden. Mit der „Affaire Munch“, wie die zeitgenössische Presse den Skandal ironisierte, begann in der Stadt die Moderne. Munch, zu dem Zeitpunkt noch keine 30 Jahre alt, genoss die unerwartete Publicity. Er schrieb nach Hause: „Das ist übrigens das Beste, was passieren kann, bessere Reklame kann ich gar nicht haben.“ Umgehend zog er an die Spree, wo er von 1892 bis 1908 immer wieder für längere Zeit lebte und arbeitete, bevor er sich ab 1909 in Norwegen niederließ.