CURRO
2023, 28 min.
Yalda Afsahs Film CURRO (2023) wirft Fragen nach Abhängigkeit und Entfremdung von Natur, wechselseitiger Dynamik in artenübergreifenden Beziehungen und der sozialen Konstruktion von Maskulinität auf. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtung stehen die sogenannten „Rapas das Bestas“ – ein galicischer Brauch, bei dem Wildpferde aus den Bergen ins Tal getrieben werden, um dort geschoren und markiert zu werden. Vom Dokumentarischen ausgehend beobachtet die Filmemacherin über lange Zeiträume und ohne Regieanweisungen ihre menschlichen und tierischen Protagonisten, die sich der Anwesenheit der Kamera jeweils kaum bewusst zu sein scheinen. In CURRO wird das anfängliche Warten verschiedener Menschengruppen in der naturbelassenen Umgebung allmählich durch einen wachsenden Tumult ersetzt – Jugendliche kickstarten ihre Cross-Motorräder, andere wandern zielstrebig mit Rucksack und Wanderstock ausgerüstet durch die Landschaft, ein kleiner Junge sitzt selbstbewusst im Sattel und navigiert sein Pferd durch die Menge. Irgendwo zwischen Initiationsritual und Familienausflug wirkt es, als verfolgten wir hier ein Spiel, dessen Regeln wir nicht kennen. Pferdekörper, wilde wie domestizierte, füllen zunehmend dicht an dicht gedrängt das Bild. Der Sound – charakteristisch für Afsahs Arbeitsweise separat von der Bildebene und zum Teil künstlich nachproduziert – kreiert dabei eine Distanz zu den Geschehnissen, die sich in dem zeitweiligen Anschein von Verlorenheit der wartenden Menschen in der naturbelassenen Kulisse widerspiegelt.
Die zunehmend angespannte Dynamik dieser Begegnung zwischen Mensch und Tier in der Arena (dem so genannten „curro“) wird im gleichnamigen Film durch unerwartete Positionen der Intimität zum Stillstand gebracht: Im Moment „nach“ der Zähmung stehen zwei der Männer am Kopf des Tieres, als verharrten sie in einer engen Umarmung, um es ruhig zu halten. Die Künstlerin schafft bewusst Momente der Irritation, wie diese „Umarmung“, in denen Intimität mit Unterdrückung, menschliche (oder: männliche) Fragilität mit der Ausübung von Kontrolle über andere koexistiert. Während Afsah hier ein ambivalentes Gleichgewicht zwischen den Spezies in ihrer ungewöhnlichen Zweckgemeinschaft offenlegt, beschränkt ihr Film die Betrachter*innen nicht auf die eine oder andere Perspektive. In den verschiedenen Ritualen und institutionalisierten Praktiken der Domestizierung, die Afsah in ihrer fortlaufenden Werkserie dokumentiert, werden die Grenzen zwischen Fürsorge und Abhängigkeit, „Natur“ und ihrer Kultivierung gleichermaßen offenbart wie verkompliziert. Was sich dabei fortwährend zu manifestieren scheint, ist eine grundlegende Verletzlichkeit einander gegenüber.
Linnéa Bake