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Rückblick

3hd 2023

Let Them Eat Cake

Creamcake zeigt das Filmprogramm „I'm Spartacus!“

Ankündigungsgrafik: Vor buntem Hintergrund steht in rosa Schrift „Let Them Eat Cake“ sowie „3hd 2023“. Der Schriftzug des Titels legt sich kreisförmig um einen lächelnden rosa Smiley.
© Grafik: Claire Barrow, © Typografie und Layout: Flufflord

Creamcake ist eine interdisziplinäre Plattform aus Berlin an den Schnittstellen von elektronischer Musik, zeitgenössischer Kunst und digitalen Technologien. Die neunte Ausgabe des 3hd-Festivals mit dem Titel „Let Them Eat Cake“ blickt zurück auf Symbole und Archetypen der Vergangenheit, um sich mit gegenwärtigen Problemen der Ausbeutung und des Überflusses zu beschäftigen.

In Anlehnung an eine berühmte Szene aus Stanley Kubricks Blockbuster „Spartacus“ aus dem Jahr 1960 feiert die diesjährige Ausgabe des 3hd-Filmprogramms unter dem Titel „I‘m Spartacus!“ den Geist des Widerstands gegen Unterdrückungen. Das Programm hat das Ziel, Kanon und Konvention zugunsten marginalisierter Stimmen und ihrer verborgenen Geschichten zu hinterfragen. Die Videoarbeiten von fünf internationalen Künstler*innen reflektieren des Verhältnis von Macht und Sichtbarkeit und untersuchen kulturelle Identität und verkörpertes Wissen sowie Fragen nach Race, Gender und Class.

Programm

„The Capacity for adequate Anger“ [dt. „Die Fähigkeit zu angemessener Wut“] (15:08 Min.) ist der Versuch einer persönlichen und selbstreflexiven Form der künstlerischen Kritik, die zeitgenössische Kunst mit einem Fokus auf Klassenfragen neu betrachten möchte – sowohl in Bezug auf ihre Produktions- als auch Präsentationsformen. Die Arbeit problematisiert die Vorstellungen von sozialem Aufstieg, die das Feld der zeitgenössischen Kunst gleichzeitig produziert und voraussetzt. Mit einem essayistischen Ansatz werden zudem die vielfältigen Bedeutungen von Distanz sowohl im subjektiven als auch im sozialen Sinn reflektiert. Distanz wird in all ihrer Komplexität verhandelt: als privater Umstand und schlichte Notwendigkeit, aber auch als Bedingung allen Sehens und Erlebens sowie der kritischen Auseinandersetzung und künstlerischen Teilhabe. Es werden zwei Erzählstränge verbunden, die Kirchenbauers künstlerische Praxis in den letzten zehn Jahren geprägt haben: Zum einen die persönliche und autobiografische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen, und zum anderen die Beschäftigung mit etablierten Routinen des Betrachtens und Erlebens der Präsenz von marginalisierten Körpern im Ausstellungsraum.

„Grotesque: They make beautiful things about ugly people“ [dt. „Grotesk: Sie machen schöne Dinge über hässliche Menschen“] (3:47 Min) begleitet ein lebensgroßes, menschenähnliches Objekt bei seinen Wanderungen durch die ägyptische Antikensammlung des Louvre. Die entstellte, maskenhafte Terrakottafigur aus der Römerzeit wird durch ihr unförmiges Aussehen ausgegrenzt und zieht den Blick einiger Besucher*innen auf sich. Eine Gruppe von Freund*innen, die ebenfalls durch das Museum spaziert, begegnet der Skulptur und stellt schließlich überrascht fest, dass ihre Vorfahren niemand anderes als diese grotesken Figürchen sind. Die Künstlerin ermächtigt in dem Film die Figur, ihre vorsätzliche Auslöschung aus dem Kanon zu hinterfragen. Sie persifliert das Groteske als Darstellung dessen, was in der für den Louvre so bedeutenden Sammlung europäischer antiker Kunst als „hässlich” gilt. Oyiri geht von ihrer persönlichen Erfahrung aus und beschreibt das Gefühl, „halb getriggert” und „halb umgehauen” gewesen zu sein, als sie das erste Mal diese umfangreiche Sammlung kennengelernt habe.

„Hysteria“ [dt. „Hysterie“] (12:34 Min.) entwirft eine ökofeministische Nacherzählung der bis heute nur unzulänglich ergründeten „Tanzwut”, die zwischen dem 10. und 17. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet war. Manchmal als Tanzpest, Choreomanie oder Tarantismus bezeichnet, begreift man unter diesem Phänomen das spontane, völlig enthemmte Tanzen größerer Menschengruppen – manchmal bis zu tausend Personen gleichzeitig – jeglichen Alters oder Geschlechts. Dies geschah nicht selten so lange, bis die Tanzenden vor Erschöpfung kollabierten, gravierende Verletzungen erlitten oder sogar starben. In ihrer jüngsten Arbeit deutet das IQECO die von der Wut befallenen Tänzer*innen zu betont subversiven Agent*innen um, die durch Umweltverschmutzungen zu diesen wilden, fieberhaften Tänzen getrieben werden. Das Filmmaterial wurde in Syracuse (USA ) gedreht; einer postindustriellen Stadt, die selbst durch die Folgen gravierender Wasserverschmutzungen geprägt ist. Angesiedelt in der rauen, frostigen Winterlandschaft von Upstate New York, bewegt sich die Arbeit zwischen industriellen Schauplätzen und den Wasserbecken und Nebenflüssen rund um Syracuse. Die verschwindende „Natur“ wird durch den Bezugsrahmen einer queeren Zukunft erkundet, wobei sich die Künstler*innen von einem kritischen Optimismus leiten lassen. Dieser kann als Bewältigungsmechanismus für die schmerzhafte Einsicht begriffen werden, dass die biodiverse Welt, in der wir leben, unwiderruflich vernichtet wird.

„Black To Life“ (3:15 Min.) ist zu gleichen Teilen Familienporträt wie Ode, und dokumentiert die kollektive Identität von Akinola Davies Jr.s Community. Im Auftrag der BBC entstanden, kann die Filmreihe als Collage verstanden werden, die sich vergessenen und verborgenen Aspekten Schwarzer britischer Geschichte und Kultur widmet. Die Reihe besteht aus
Kurzporträts, von denen jedes eine außergewöhnliche Persönlichkeit Schwarzer britischer Gesellschaft vorstellt: historische Figuren, die bislang von Mainstream-Narrativen weitgehend außer Acht gelassen worden sind, aber beeindruckende Geschichten zu erzählen haben. Sie entstammen alle verschiedenen Zeiten und stehen doch stolz, als sich gegenseitig unterstützendes Kollektiv beieinander. Unter ihnen sind die Yoruba-Prinzessin Omoba Aina Forbes Bonetta, Prinz Alemayehu, Mary Fillis, Edward Swarthye oder Dido Belle Long. In der Berlinischen Galerie ist das Hauptvideo der mehrteiligen Serie zusehen, das diese Persönlichkeiten in einer Art Familienporträt vorstellt.

„A coin is a coin“ [dt. „Eine Münze ist eine Münze“] (5:08 Min.) handelt von den zahlreichen Widersprüchen im Leben und von der Politik der Möglichkeiten, die meist nicht sonderlich beruhigend klingen. In einer ökonomischen Situation, die uns unablässig zu Entscheidungen auffordert, versteht diese Arbeit sich als Warnung. Und in einem Zeitalter überbordender Optionen, denen wir niemals genügen können, suggeriert das Video eine Alternative zum Stillstand. In dem Werk sehen wir eine Figur, die sich zwischen unverhüllten Stativen und Kulissen durch ein Studio bewegt, als Hinweis auf das Aufweichen von Grenzen: zwischen den Geschehnissen vor und hinter der Bühne, dem emotionalen Innenleben und dem Gesellschaftlichen, dem Wahrhaftigen und dem Konstruierten. Durch das Erschaffen einer nonbinären Doppelgänger-Figur und einem Remix kultureller Marker, bewegt sich Kouagou durch diverse linguistische und ästhetische Codes, die beweisen, dass er gleichzeitig ein einziger und viele sein kann. Das Ausloten von Konzepten wie Freiheit, Daseinsberechtigung, Wahlmöglichkeit und Privileg, die als grundlegend gelten für das Formulieren von Bedingungen, Problemstellungen und den sich daraus ergebenden Widersprüchlichkeiten, ist typisch für Kouagous Performances, Gemälde und Skulpturen. Basierend auf Texten von ihm schlagen diese poetischen und humoristischen Narrative jedes Mal eine andere Richtung ein, sobald sie mit Systemen konfrontiert werden, die von rigider Ordnung und Binarität bestimmt sind. Kouagou schlüpft in eine parafiktionale Persona, in der das Selbst und der fiktive Charakter zu einer Vielfalt von Existenzen verschmelzen, die sich morphen und verwandeln. Eine Münze ist nur eine Münze – aber auch ein Katalysator für Gespräche. Veränderung ist Handlung, aber auch ein Werkzeug, eine Metapher, um Perspektivwechsel
zu erlauben.

IBB-Videoraum

Im IBB-Videoraum werden seit 2011 Künstler*innen präsentiert, die mit zeitbasierten Medien arbeiten. Das Programm umfasst nicht nur etablierte Namen der zeitgenössischen Videokunst, sondern auch junge Positionen, die bisher kaum in Museen zu sehen waren. Ihnen soll in der Berlinischen Galerie ein erster institutioneller Auftritt ermöglicht werden.

Jedes Screening erlaubt eine neue Auseinandersetzung mit Werken, die mediale oder auch politische und soziale Fragestellungen anstoßen. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, marginalisierten Perspektiven Raum zu geben und Auswirkungen von Machtstrukturen sichtbar zu machen.