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Nina Wiedemeyer

Kuratorin, Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung

 

Was ist das Besondere an der Raumkunst von Geyer-Raack?

Geyer-Raacks elegante Wohnungseinrichtungen erinnern mich an Filmsets. Wir kennen ihre Arbeiten von schwarz-weiß Fotografien und einigen erhaltenen Stücken in Privatbesitz. Der fotografische Blick inszeniert ferner liegende Räumlichkeiten mit Vorhängen und Durchblicken. Auf einer Porträtfotografie von Geyer-Raack aus den 1920er-Jahren, steht sie im Malerkittel auf einer Leiter. Das Bild zeugt von ihrem Selbstbewusstsein und von der Wichtigkeit der Malerei in ihrem Werk. Neben den Ensembles aus feinen Art-Deco-artigen Möbeln, sind es diese wandfüllenden Gemälde mit Landschaften oder mit Frauen(-Akten) in Landschaften, die einen filmreifen Hintergrund begehrenswerten Wohnens liefern. Leider sind in den Fotografien nur Grauwerte überliefert. Die farbigen Textilentwürfe und Tapetenmuster zeigen kontrastreiche Farbkombinationen. Ihre Arbeiten lassen schon in den 1930er-Jahren die 50er erahnen. Die Arbeit strahlt auf mich etwas Heiteres aus und etwas Unzeitgemäßes. Die Einrichtungen sind behaust von einem Nachleben der Formen. In den Einrichtungen scheint eine unheimliche Heiterkeit auf - Deutschland im und nach dem Krieg mit gemütlichem, mondänem Heim.

Wer oder was hat sie in ihrem Werk beeinflusst?

Das Bauhaus, obgleich Geyer-Raack dort Sommerkurse besuchte, war es jedenfalls nicht. Eher schon Schlösser, Filmsets, die Ensembles des Art Deco für kaufkräftige Kundschaft, aber auch ihr Lehrer Bruno Paul mit funktionsgeleiteten, zerlegbaren Möbeln – doch all dies vermute ich nur.

Wer waren ihre Kolleg*innen?

Mich würde interessieren wie Geyer-Raacks Karriere in den 1930ser Jahren verlief. Sie war Mitarbeiterin der Deutschen Werkstätten in Hellerau. Einem Ort, an dem sich fortschrittliche Haltungen und völkische Vorstellungen mischten. Sie war Mitglied im Deutschen Werkbund, der ab 1935 unter der Leitung von Herrmann Gretsch, einem auf der Liste der Gottbegnadeten geführten Künstler der Nationalsozialisten, geleitet wurde (bis wann G-R Mitglied war, ist mir nicht bekannt). Wie so viele Karrieren von Bauhäusler:innen -  also den rund 1.300 Künstler:innen, die mehr oder auch weniger lang am Bauhaus studiert haben - sind die Karrieren in den politisch stürmischen Zeiten brüchig und angepasst. Viele wurden in den 1930er-Jahren verfolgt; es gab aber genauso Künstler:innen wie zum Beispiel den prominenten Architekten und Bauhausdirektor Mies van der Rohe, der zunächst Aufträge vom nationalsozialistischen Deutschland akquirierte und dessen Karriere in den letzten Jahren daraufhin beleuchtet wurde. Wie war das für die Gestalterin Geyer-Raack? Was für ein Arbeitgeber war Die Heimgestalter GmbH ? Wer waren ihre Kund:innen? Sie hatte in Berlin ab den 20ern ein eigenes Atelier, war an Ausstellungen beteiligt und nach dem Krieg vergab der jugoslawische Gesandte in Berlin ihr einen größeren Auftrag.

Warum ist das Werk von Ruth Geyer-Raack heute nur Fachkreisen bekannt?

Vielleicht liegt es an ihrer Karriere in Deutschland in den 1930er Jahren. Eigentlich kaum zu glauben, aber Berufsbiografien wie von Geyer-Raack zeigen, dass es immer noch und immer wieder Unwillen und Unsicherheiten im Umgang mit den – zunächst von außen betrachtet – flüssigen oder angepassten Karrieren vom Bauhaus bis ins Nachkriegs- und Wirtschaftswunderland Deutschland gibt. Unter dem Schlagwort „Frauen am Bauhaus“ war zum 100. Jubiläum dieser Schule viel die Rede von Bauhäuslerinnen und doch ist noch Luft nach oben, was die Auseinandersetzung und Wahrnehmung von Gestalterinnen und Designerinnen angeht, die am Kunstmarkt und im Ausstellungswesen nicht so hoch bewerteten und beachteten wie von Anni Albers oder Marianne Brandt. Die Arbeiten von Geyer-Raack sind in der Sammlung des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung mit einem Konvolut von Fotografien, Tapeten- und Stoffentwürfen vertreten und wurden noch nie ausgestellt.

Ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihres Werks heute noch lohnenswert?

Das „Un-Bauhäuslerische“ von Geyer-Raacks Arbeiten finde ich interessant. Also der Umstand, dass sie am Bauhaus studierte und davon simpel gesagt, nichts zu sehen ist. Zumindest nichts von dem, was gemeinhin als bauhausy gilt: Stahlrohrmöbel oder Räume mit farbigen Wänden, allerdings eben nicht mit figurativer Malerei wie bei Geyer-Raack, sondern am Bauhaus wurden Innenräume mit kräftigen monochromen Farbkombinationen gestaltet. Das zeugt von Selbstbewusstsein und widerlegt eine beliebte Idee, das Bauhaus hätte noch jede:n Künstler:in zur Bauhäusler:in gemacht. Ihre Karriere in den 1930er Jahren aufzuarbeiten, könnte dazu beitragen, Kunstgeschichte weniger digital zu denken: also nicht entweder null oder eins, sondern mehr zu einer Erzählung der Differenziertheiten und Unvereinbarkeiten beitragen.