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Politics of Care.
Fürsorge als Widerstand

Im IBB -Videoraum

Filmstill: Ein kleines Kind, von hinten zu sehen, wie es durch flaches Wasser mit verstreuten Trümmerteilen geht. Das Bild ist von einem rechteckigen Rahmen aus braunem Karton umgeben, als würde man durch ein Sichtfenster schauen. Die Umgebung wirkt neblig und unklar.

Susann Maria Hempel, Hoperoad, 2025 [Film still]

© Susann Maria Hempel

In einer Zeit, die geprägt ist von multiplen Krisen – ökologisch, politisch, sozial – hat die Frage nach care, nach Fürsorge und Verantwortung, eine enorme Bedeutung. Wer sorgt für wen, unter welchen Bedingungen? Wie lässt sich Fürsorge jenseits von normativen Rollenbildern, struktureller Vereinzelung und Ausbeutung denken? Angesichts der Klimakrise, von Kriegen, wachsender sozialer Ungleichheit und den tiefgreifenden Erfahrungen während der Pandemie ist klar: Ohne ein radikales Umdenken in Bezug auf Sorgearbeit ist eine gerechtere Zukunft nicht möglich. Das Gruppenscreening versammelt drei Videoarbeiten, die sich mit Praxen der Fürsorge auseinandersetzen. Ausgehend vom Privaten entwickeln die Werke Perspektiven auf Care jenseits der neoliberalen Bürde der Selbstverantwortlichkeit und untersuchen, wie Solidarität gedacht und gelebt werden kann.

Zwei der Arbeiten thematisieren das Elternsein als biografischen wie gesellschaftspolitischen Erfahrungsraum. Ein drittes Video widmet sich der generationsübergreifenden Unterstützung in LGBTQI+-Communities. Alle drei Werke stellen das Ideal der heteronormativen Kleinfamilie als universelles Care-Modell radikal infrage. Ein Fokus richtet sich auf nicht-menschliche Organismen. Sie stehen beispielhaft für verletzliche und zugleich widerständige Formen des solidarischen Zusammenlebens – jenseits eines Verständnisses von Natur als „Ressource“. Visuell nutzen die Arbeiten experimentelle filmische Strategien: von KI-generierten Bildwelten, die Kindheit in dystopischen Zukunftsszenarien imaginieren, bis zur chemischen Manipulation des Filmmaterials als bewusstem Kontrapunkt zu Kontrolle, Messbarkeit und der vermeintlich objektiven Sprache wissenschaftlicher Bildproduktion.

Susann Maria Hempel

Sowohl die Arbeiten von Susann Maria Hempel als auch Stéphanie Lagarde haben als Ausgangspunkt die persönliche Erfahrung des Elternwerdens während der Pandemie. Hempels Video „Hope Road“ (2025, 12 Min.) reflektiert ihre Schaffenskrise angesichts der desaströsen Weltlage: Die Existenz eines kleinen Kindes scheint in dieser Situation etwas anderes zu verlangen als die Produktion von Kunst. Die Künstlerin rettet sich in ihrem zum Teil per Hand animierten Kurzfilm aus diesem Dilemma, indem sie die Perspektive des Kindes einnimmt, die stets empathisch ist. Sie befasst sich mit Weltanschauungen indigener Gemeinschaften des Amazonasgebiets, die das Menschsein jenseits anthropozentrischer Modelle denken, und begreift ihre Verbundenheit mit der Erde als tröstliches Moment.

Rob Crosse

„Wood for the Trees“ (2023, 13 Min.) ist ein Film von Rob Crosse, der sich mit Formen der Fürsorge, des Zusammenlebens und des Alterns beschäftigt. Im Zentrum steht die Frage, wie intergenerationeller Austausch und gemeinschaftliche Lebensformen unterstützt und wertgeschätzt werden können. Der Film verbindet zwei scheinbar unterschiedliche Welten: ein queeres Mehrgenerationenwohnprojekt in Berlin – der Lebensort Vielfalt am Südkreuz, betrieben von der Schwulenberatung Berlin – und ein Forschungsteam, das in einem unberührten Wald Daten zur Geschichte der Bäume sammelt. Interviews mit zukünftigen Bewohner*innen des Wohnprojekts und Wissenschaftler*innen aus einem dendrochronologischen Labor geben Einblicke in alternative Modelle des Zusammenlebens, die auf Vielfalt und gemeinsamer Verantwortung basieren.

Stephanie Lagarde

Stephanie Lagarde etabliert in „Extra Life (and Decay)“ (2025, 21 Min.) ein*e vielstimmige Erzähler*in: Filmschaffende*r, Elternteil, Wald, Insekt, Pilz, Erzieher*in. Diese*r erklärt, sich nicht länger von der Arbeitswelt ausbeuten zu lassen und betont die zentrale Rolle von Kollektiven für den Widerstand gegen Autoritätsstrukturen und Politiken der Isolation. Der Film zieht Verbindungen zwischen der Erfindung der „Kernfamilie“ und der Etablierung des „Normalbaums“ in der Forstwirtschaft. Beides erscheint als Versuch, Leben in kontrollierbare, normierte und rentable Einheiten zu zwingen. Lagarde zelebriert solidarische Praxen wie die Gastfreundschaft als Überlebensstrategie und wendet sie durch kollektive Arbeitsverfahren und Performances auch selbst bei der Entstehung dieses Films an. Sie versteht ihn als eine Ode an die Vielheit, das Unleserliche, das Unmessbare.

IBB-Videoraum

Im IBB-Videoraum werden seit 2011 Künstler*innen präsentiert, die mit zeitbasierten Medien arbeiten. Das Programm umfasst nicht nur etablierte Namen der zeitgenössischen Videokunst, sondern auch junge Positionen, die bisher kaum in Museen zu sehen waren. Ihnen soll in der Berlinischen Galerie ein erster institutioneller Auftritt ermöglicht werden.

Jedes Screening erlaubt eine neue Auseinandersetzung mit Werken, die mediale oder auch politische und soziale Fragestellungen anstoßen. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, marginalisierten Perspektiven Raum zu geben und Auswirkungen von Machtstrukturen sichtbar zu machen.

Foto: Eine halbrunde Tribüne mit drei Stufen als Sitzfläche gegenüber einer raumhohen Filmprojektion in einem schwarzen Raum.

Der IBB-Videoraum in der Berlinischen Galerie

© Noshe