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Rückblick

Grünzeug

Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart

Hohe Tannen, dichte Mangroven, bizarre Blütenstempel – die Pflanzenwelt bringt einzigartige Formen hervor. Eingebunden in komplexe und höchst sensible Ökosysteme sind Pflanzen auf vielfältige Weise mit der menschlichen Kultur verflochten. Ihre Betrachtung kann beruhigen, zum Nachdenken anregen oder starke Gefühle wie Beklemmung und Furcht auslösen. In der Fotografie sind Pflanzen seit Beginn des 19. Jahrhunderts beliebte Objekte fotografischer Verfahren und Experimente. „Grünzeug. Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart“ greift dieses facettenreiche Thema auf. Sie stellt zeitgenössische Arbeiten vorwiegend aus der Fotografischen Sammlung vor, die das oft ambivalente Verhältnis von Menschen und Pflanzen im Medium der Fotografie verhandeln. Die Ausstellung ermuntert dazu, bei der Betrachtung der Pflanzenwelt persönliche Empfindungen einzubeziehen, das eigene ökologische Bewusstsein zu sensibilisieren sowie Natur und Kultur als Einheit wahrzunehmen.

Künstler*innen

Mimi Cherono Ng’oks Beziehung zur Welt der Pflanzen ist allumfassend. Mit einem starken Bewusstsein für die Veränderlichkeit unserer Umgebung reist sie auch durch die tropische Klimazone. Sie fotografiert in der Dominikanischen Republik, an den Rändern urbaner Siedlungen sowie in Gärten und Parks von São Paolo oder Nairobi. Die ausschnitthaften Pflanzenbilder sind Momentaufnahmen ihrer persönlichen Empfindungen. Bei Ängsten und Unbehagen vermag die Flora Vertrautheit erzeugen und Trost spenden. In der rasterartigen Anordnung wiederholen sich 18 unterschiedliche Motive, wie Palmenblätter oder Bananenstauden. Die überlebensgroße Bildmontage ruft fast ein Gefühl der Überwältigung hervor.

Zwischen 1924 und 1932 ließ der Schriftsteller und Philosoph Ernst Fuhrmann (1886–1956) über 4.000 Pflanzenaufnahmen von Fotograf*innen, wie Lotte Jacobi oder Fred Koch für ein stetig wachsendes Archiv anfertigen. Sein Ziel war, durch die den Maßstab verändernden, oft ausschnitthaften Makrofotografien den Blick auf „das Wesentliche“ freizugeben, wie er 1930 in „Die Pflanze als Lebewesen“ festhielt. In Büchern und Ausstellungen veröffentlichte Fuhrmann seine visuellen Erforschungen und warb, die Pflanze als eigenes und vollwertiges Lebewesen zu betrachten. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wechselte das Bildarchiv häufig Firmensitz sowie seinen Namen und wird hier vereinfachend als Folkwang-Auriga-Verlag bezeichnet.

Zwischen kahlen Nadelbaumstämmen auf hellem Waldboden öffnet sich ein schmaler Weg, der sich in der Dunkelheit verliert. In „Schonung“ untersucht Falk Haberkorn das mehrdeutige Thema Wald. Als fotografisches Motiv steht er oft sinnbildlich für unberührte Natur. Haberkorn spielt jedoch auf den Widerspruch zwischen romantisierender Verehrung und dem von Umwelteinflüssen und ökonomischen Interessen bedrohten Wald an. Die Rätselhaftigkeit des Bildes löst Emotionen aus und weckt auch Erinnerungen an Märchen und Sagen westlicher Kulturen. Der Künstler beschreibt seine Arbeitsweise als eine „visuelle Befragung“ des „vermeintlich Anschaulichen“.

Gestapelte Rundhölzer, an Bäume gelehnte Äste, verstreutes Totholz und gehäuftes Reisig sind Resultate einer sowohl gewinnorientierten als auch nachhaltigen Forstwirtschaft. Vielfältige Ordnungen des Menschen kennzeichnen die Wälder in Europa.
Im Schwarzwald, in Brandenburg und Norwegen sucht Ingar Krauss die Spannung zwischen skulpturalen Holzgebilden und unkontrollierbarem Wachstum. Mit Hilfe der Zentralperspektive und einer gleichmäßigen Tiefenschärfe schafft er harmonische Bildkompositionen und zeigt so den Widerspruch zwischen menschlicher Überformung des Waldes und unbeherrschbarer Natur.

Für „Mngrv polymersday“ (2020) fotografierte Susanne Kriemann in den indonesischen Mangrovenwäldern auf Pulau Bintan. Infolge der Verschmutzung der Weltmeere verheddert sich zivilisatorischer Abfall in diesem fragilen Ökosystem. Die zweiteiligen Werke unterscheiden sich durch die Kameraperspektive sowie Abdrücke lokal gesammelten Plastikmülls. Im Direktdruck überträgt die Künstlerin dessen Strukturen mithilfe ozeanischen Schweröls aus der industriellen Fischerei und Farbpigmenten auf die Fotopapieroberfläche. Der unfreiwillige Verbund von synthetischem Unrat und Pflanzenwelt wird als Einheit dargestellt. Die Arbeit ist im engen Austausch mit dem Tourismus- und Forschungszentrum Desa Wisata Pengudang auf Pulau Bintan, Indonesien entstanden.

Stolze Wipfel in tiefem Grün: vor neutralem Grau fotografiert Stefanie Seufert den immergrünen Nadelbaum in Parkanlagen und Vorgärten. Er ist das ideale Motiv für ihre Serie „01-1 – 1-10“, die auf Mehrdeutigkeit und Vergleich zielt. Zentrale Perspektive und enger Bildausschnitt reduzieren den ohne räumliche oder narrative Bezugspunkte aufgenommenen Baum auf seine Form. Scheinbar neutralisiert, ist er jetzt als funktionales Objekt, als Skulptur, als Porträt oder als „pflanzliches Wesen“ erkennbar. Ist die Serie auch im Sinne dokumentarischer Typologien lesbar und weist das Einzelbild über sich selbst hinaus? Stefanie Seufert untersucht die Eigenschaften der Fotografie und setzt da an, wo sich Bilder einer Gattungszuordnung entziehen.

Auf Einladung der Berlinischen Galerie entwickelte Andrzej Steinbach die Serie „Aschenbecher und Yogamatte“ (2023). Aus 132 historischen Aufnahmen von Pflanzen, Pilzen und Mineralien aus dem Bildarchiv des Folkwang-Auriga-Verlages (1928–1932) wählte er jene aus, die er bildnerisch interessant fand. Korrespondierend mit der Auwahl erstellte der Künstler zwanzig Fotografien von Verbrauchsgütern und Alltagsgegenständen. Natur und Kultur sind keine Gegensätze mehr, sondern miteinander verbunden. Damit lädt er ein, dass vom Menschen Geschaffene und das natürlich Gewachsene als Zusammenspiel zu betrachten. Die historischen Makrofotografien und seine eigenen Werke zeigt Steinbach in einem von ihm entwickelten skulpturalen Display.

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