Mit sozialkritischem Blick und Berliner Humor fangen die Grafiken von Heinrich Zille (1858 – 1929) das Milieu der „kleinen Leute“ um 1900 ein. Dass der berühmte Künstler auch ein leidenschaftlicher Fotograf war, wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod entdeckt. Anders als die Stadtfotograf*innen seiner Zeit interessierte sich Zille nicht für Berlins herausgeputzte Schauseite. Seine Aufnahmen zeigen den Alltag der Bewohner*innen.
Im Sommer 1898 fotografierte Zille den Wochenmarkt auf dem Friedrich-Karl-Platz (heute: Klausernerplatz) in Charlottenburg, in der Nähe des Schlosses. Immer wieder zog es ihn hierher: insgesamt 26 Aufnahmen vom Treiben der Händler*innen, Kinder und Käufer*innen sind im Nachlass überliefert.
Zilles Aufnahmen des alltäglichen Lebens wirken ungemein spontan und lebendig. Viele seiner Motive nehmen die sogenannte Street Photography vorweg, die mit schnappschussartigen Straßenszenen in den 1930er Jahren einen ersten Höhepunkt fand. Zilles Fotografien blieben allerdings für lange Zeit im Verborgenen. Zu Lebzeiten veröffentlichte er kein einziges Bild.
Ohne Titel (Markt auf dem Friedrich-Karl-Platz) Sommer 1898
Zelloidin matt
8,7 x 10,9 cm
Schenkung der Berliner Bank AG, 1986
Heinrich Zille
(1858 Radeburg – 1929 Berlin)
Von 1877 bis 1907 arbeitete Heinrich Zille als Lithograph bei der Photographischen Gesellschaft in Berlin, einem Unternehmen für fotografische Reproduktion. Hier erlernte er die technischen Fertigkeiten eines Fotografen und benutzte höchstwahrscheinlich die Fotoapparate wie das Labor der Firma für seine eigenen Aufnahmen. Seit der Jahrhundertwende hatte er wachsenden Erfolg als Zeichner mit sozialkritischen Blättern aus dem Milieu der „kleinen Leute“ von Berlin. 1924 wurde Zille als ordentliches Mitglied in die Preußische Akademie der Künste berufen und erhielt den Titel eines Professors. Als Fotograf wurde Zille erst posthum 1967 durch eine Publikation bekannt.