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Podcast

Barrieren in der Kunst:
Im Gespräch mit Andreas Krüger

In dieser Folge des iXNet-Podcasts spricht Andreas Krüger, unser Referent für Barrierefreiheit und Inklusion, über die Notwendigkeit von Inklusion in der Kunstvermittlung und dem barrierefreien Ausbau von Museen. iXNet ist ein Podcast der Arbeitsvermittlung für schwerbehinderte Akademiker*innen (ZAV), Bundesagentur für Arbeit.

Foto: Besucher auf Sitzgelegenheit mit Blindenlangstock betastet ein Tastmodell im Ausstellungsraum.
© Daniel Müller

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iXNet-Podcast
Andreas Brüning und Andreas Krüger

iXNet – Jingle 

O-Ton: Wir sind für die Vermittlung unserer Kunst, unserer Ausstellungen zuständig. Und meine Aufgabenfeld liegt darin, ein barrierefreies Umfeld zu schaffen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu unserem Haus zu ermöglichen.  /

iXNet: Das sagt Andreas Krüger, Referent für Barrierefreiheit – und Inklusion in der Berlinischen Gemäldegalerie. 

O-Ton: Das können Führungen sein für Blinde, Sehbehinderte Menschen. Das können Führungen in deutscher Gebärdensprache sein, die sich vorrangig an taube Personen richten. Oder andere Maßnahmen für Besucher/innen, um Kunst über mehrere Sinne zu erfahren. Dann auch noch über bauliche Barrierefreiheit Zugang zu erhalten. Das sind so meine Aufgaben, die ich tagtäglich abdecke. 

Inklusion und Diversität in der Kunstvermittlung. Darum geht es in dieser IXNet-Folge, ich bin Andreas Brüning vom iXNet-Team. 

iXNet: Ich bin Ihr Podcast-Host. Und ich habe mit dem dafür Fachmann gesprochen, mit Andreas Krüger. Zwei Jahre lang war er Kultur-Referent der Bundesbehindertenbeauftragten. Seit 2019 ist er Kulturvermittler in der Berlinischen Gemäldegalerie – dort ist er der Mann für Barrierefreiheit und Inklusion. Und er ist selbst sehbehindert. Auf der Website seines Arbeitgebers wird er mit einem Foto präsentiert, da sitzt er inmitten von Gemälden in einem Ausstellungsraum, zwischen den Beinen einen Blindenstock. 

O-Ton: In den Kulturbereich bin ich gekommen, weil ich mich schon immer für Kunst interessiert habe. In der Schule habe ich gerne gemalt, deshalb war es mein großer Wunsch, mich beruflich in dem Kreis auch zu verwirklichen. Weswegen ich nach meinem Abitur Kunstpädagogik studiert habe. Also diese pädagogische Ausrichtung, Kunst anderen zu vermitteln, habe ich in Greifswald studiert und mich gleichzeitig aber auch mit dem Ausstellungswesen auseinandergesetzt: Wie arbeitet ein Museum was braucht es, um eine Ausstellung umzusetzen, die Katalogarbeit, Werbung etc. Das waren letztendlich so die Anfänge, warum ich den Wunsch hatte, nach meiner Ausbildung dann auch im Museum arbeiten zu möchten....sein Werdegang.....

iXNet: Seit 2010 lebt Andreas Krüger in Berlin. Bevor er zur Berlinischen Galerie kam, hat er sich mit Kunst und Geld befasst, häufig ein Spannungsverhältnis: In Zeiten leerer Kassen um Kultursponsoring zu wissen, ist deshalb eine wichtige Fähigkeit. Die hat er erworben beim Sparkassen- und Giroverband, der wichtige Kunsthäuser in Dresden und Berlin, aber auch die Documenta in Kassel fördert. 

Barrierefreiheit – kann das weg? In Zeiten knapper Kassen werde häufig bei der Barrierefreiheit zuerst gespart, beklagt Andreas Krüger. In der Berlinischen Gemäldegalerie ist er Referent für genau diesen Bereich – er soll also inklusiven Kunstgenuss ermöglichen. Wie genießt er Kunst, die er nicht sehen kann?  

O-Ton: Im Museum habe ich die Ruhe. Da habe ich wirklich auch die Zeit, mich ganz detailliert mit dem Kunstwerk auseinanderzusetzen. Da kommt es eher darauf an, wie mir das Bild vermittelt, wie es mir beschrieben wird. So eine Empfehlung ist meistens, von dem Groben ins Kleine zu gehen, ins Detail. Erstmal zu wissen, was ist denn das Hauptmotiv, in welcher Epoche befinden wir uns. Was ist dargestellt. Was sind die künstlerischen Besonderheiten, Farben, Formen. Und dann versuche ich eigentlich durch Rückfragen mich dem Werk zu nähern. Also wie ist die Position im Detail, wenn es um die Darstellung einer Person geht. Wie ist sie gedreht, wie wendet sie sich. /Musste man das vielleicht an dem eigenen Körper selbst nachstellen, wenn eine Pose zu kompliziert abgebildet ist. Wie ist die Kleidung. Wie die Gesichtshaltung. Das ist das Spannende, mit meinen Mitmenschen in den Dialog zu gehen, um in diese Bildwelt abzutauchen. Diese Strahlkraft. Diese Wärme. Oder ist es eher eine Kälte, etwas Abschreckendes, etwas Bedrohliches. Das braucht seine Zeit, zu verstehen, dass man auch der Aussage der Künstlerin näher kommt. Was anderes ist, wenn ich eine Skulptur anfassen darf. Ich kriege eine Gänsehaut, weil ich so negativ oder positiv berührt bin. Weil ich auf scharfe Kanten stoße. Eher vorsichtig werde, auf weiche Formen, die mich eher zum Weitertasten einladen. Und dann nochmal im Darstellenden Bereich, wenn dann Musik dazukommt, im Theater. Dann ist es meistens ein Traum. Man fühlt sich wie in einem Drei-D-Kino. Wenn ich dann noch die dargestellten Personen per Audiodeskription beschrieben bekomme, führt das dazu, dass ein Bild vor dem inneren Auge entsteht. 

iXNet: Andreas Krüger mag seine Selbstständigkeit – als Kunstkonsument, und die will er auch bei anderen fördern: Installationen im Raum selbst begehen zu können, ist ihm wichtig, sagt er. Die Kunst – weg vom Gegenständlichen, schaffe einen freieren Zugang zu dem, was Künstler und Künstlerinnen sagen wollen. Das schaffe bei ihm schöne Assoziationen. 

O-Ton: Das erlebe ich vorrangig im Bereich der Zeitgenössischen Kunst. Das macht mir sehr viel Spaß. 

iXNet: Aber als Kunstvermittler mag er auch den Dialog über Kunst – und zwar über die Grenzen einer Behinderung hinweg. Andreas Krüger selbst hat seine Sehkraft erst allmählich verloren. Das hilft ihm heute, sagt er, dass er Farben aus der Zeit des Sehens noch erinnern kann, ihre Intensität, ihre Wirkung auf die Gefühle. 

O-Ton:       Ich konnte in der Schulzeit, während des Studiums noch relativ gut sehen. Und Kunst, gerade im Bildenden Bereich, noch relativ gut erkennen und abschätzen. Daraus profitiere ich bis heute, was die Strahlkraft von Farben angeht, was die Wirkung von Gemälden, auch von Zeitgenössischer Kunst angeht, die rein visuell angelegt ist. 

iXNet: Die Berlinische Gemäldegalerie ist ein Vorreiter in Sachen Inklusion. Es gibt Tastmodelle von Gemälden. Ein Leitsystem mit Bodenindikatoren. Spezielle Führungen. Kurzum: Hilfsmittel, die es auch Sehbehinderten ermöglichen, Kunst zu genießen. Was macht ein Museum barrierefrei? Welche Elemente müssen vorhanden sein?

O-Ton: Wenn ich mich frei durch den Raum bewegen kann. Wenn ich Orientierungshilfen habe, um einfach diese Sicherheit zu bekommen, in diesem fremden Haus, mich sicher zu fühlen, etwa nicht gegen Kunst stoße. Wenn ich mich sicher fühle, mich dann der Kunst widmen kann. Zu wissen: Wo muss ich lang gehen? Fühle ich mich beobachtet? Wo geht’s weiter? Dann kann ich mich tatsächlich der Kunst widmen. Und schön ist es natürlich, wenn es die Offenheit gibt, Kunst zu berühren, Kunst zu hören. Vielleicht auch durch unterschiedliche Raumeindrücke, die Präsentationsform innerhalb eines Museum auch zu spüren. Bilder auch beschrieben zu bekommen, entweder durch eine andere Person, oder durch Audiodeskription einen Audioguide, oder durch eine Führung. Das ist dann das Nächste, um sich der Kunst anzunähern und die Kunst zu verstehen. Und entscheidend ist aber tatsächlich diese Eigenständigkeit, dass ich das im Idealfall alleine machen kann. 

iXNet: Aber nicht jede Behinderung ist gleich. Die hörbehinderte Kunstinteressierte hat ein anderes Bedürfnis als die Blinde - auch beim Museumsbesuch. Wie bekommt die Berlinische Galerie diesen Spagat hin, damit sich alle wohlfühlen im Museum? Andreas Krüger, der schlaksige Sehbehinderte mit Dreitagebart sagt: Wichtig sei, unter Hörbehinderten und Blinden selbst geeignete Kunstvermittler zu finden. Nicht über die Köpfe von Menschen mit besonderen Bedürfnissen hinweg zu vermitteln, sondern das Prinzip Peer-to-Peer auch ins Kunstmuseum zu bringen. 

O-Ton: Kultur zu erklären, Kultur einfach zugänglich zu machen und Kultur  an unterschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Ansprachen an die jeweiligen Leute zu bringen...Bisher ist es so, dass wir unsere Angebote auf einzelne Gruppen aufteilen, Das sind z.B. Angebote für blinde und sehbehinderte Menschen, wenn wir an Hör- und Tastführungen denken, oder an Workshops, die sich an diese Zielgruppe richten, das sind Führungen oder Workshops in deutscher Gebärdensprache oder mit Verdolmetschung in deutsche Gebärdensprache. Oder Angebote in leichter Sprache. Ein Angebot für alle möglich zu machen, einfach ins Museum zu kommen, einfach eine Führung in Anspruch nehmen zu können, das haben wir bisher noch nicht geschafft. 

iXNet: Andreas Krüger hat als Referent für Barrierefreiheit und Inklusion einen neuen Blickwinkel ins Haus gebracht. Das ist seine Aufgabe. Dass er selbst sehbehindert ist, nennt Andreas Krüger einen „Mehrwert“ für das Haus – welchen Mehrwert kann er für ein behindertes Publikum schaffen? Welche Impulse möchte er im Haus für den Besucher setzen? 

O-Ton: Unser Wunsch ist es ganz klar, Spaß zu haben in dem, was er sieht, in dem was er erlebt. Sich gut aufgehoben zu fühlen. Da fällt natürlich die  Barrierefreiheit mit rein. Dass es ein  aufmerksames Haus ist, in dem ich mich willkommen fühle. dass unsere Aufsichtskräfte unterstützend sind, auf unsere Besucher/innen zugehen, sich auch animieren, Dinge vielleicht auszuprobieren. Dass es auch Angebote, wo  mit den Kunstvermittler/inne/n oder auch Mitarbeitenden des Hauses  ins Gespräch komme, nicht nur diese Personen Dinge referieren, sondern dass ich auch die Chance habe, Fragen zu stellen oder mich auch mit meinem Wissen einzubringen. So eine Lebendigkeit ins Haus zu bringen und Leute unterschiedlich abzuholen, mit ihren Interessen, mit ihren Neigungen, um dann unsere Kunst kennen zu lernen, sich Neuem zu widmen, was bisher noch unbekannt war, oder was sie vielleicht auch kritisch gesehen haben. 

iXNet: In einer idealen Welt kann jede und jeder barrierefrei ins Museum, Kunst genießen, Kunst erfahren. Sich verzaubern lassen von dem, was Künstler und Künstlerinnen schaffen. Die Berlinische Gemäldegalerie erzählt die Geschichte Berlins anhand von Gemälden – vom strengen hochgeschlossenen Kragen bis zur Collage der Dadaisten in den 1920er Jahren. Kunstgenuss in einer idealen Welt - wovon träumt er? Wie stellt sich Andreas Krüger das Museum der Zukunft vor? Eines, das vollständig inklusiv ist? 

O-Ton: Ein Museum der Zukunft bedeutet für mich totale Offenheit, dass Menschen ohne Scheu, ohne Hemmschwellen zu uns kommen. Was aber auch die Preise angeht, wenn wir an die Tickets denken. Wie kann Kunst auch kostenlos sein. Gibt es Bereiche, die ich jederzeit betreten darf, ohne einen Eintritt zahlen zu müssen. Und wie eigne ich mir selbst die Kunst an. Habe ich unterschiedliche Möglichkeiten, mit Personal ins Gespräch zu gehen. Man kennt das in einigen Häusern über einen „Live Speaker“, oder gibt es einen Mediaguide, über den ich verschiedene Informationen abrufen kann. Gerade auch wenn wir in Richtung KI, kann ich mal die Frage stellen. Wer ist die abgebildete Person, alle wissen das, aber ich nicht. Ist vielleicht ein Politiker von vor 100 Jahren, da habe ich aber noch nicht gelebt. Wie kann ich mir so Wissen aneignen, ohne mich zu outen, dass ich das nicht weiß......

iXNet: Dazu gehört aus seiner Sicht nicht nur ein inklusives Kunstangebot – das das Publikum barrierefrei erkunden kann. Dazu gehört auch, gläserne Decken bei der Personalauswahl zu durchstoßen. Kunst lässt Flügel wachsen. Warum also nicht mit Fahrstuhl und Blindenstock bis in die Chefetage fahren? 

O-Ton: Da fließt dann auch wieder der Aspekt Inklusion und Diversität mit ein. Wie wir durch ein vielfältiges Personal unterschiedliche Lebenserfahrungen und Anforderungen dann auch in die Museumspraxis mit einbringen können. Und das ich mein ganz großer Wunsch und dazu zählt mein Museum der Zukunft.  Dass wir nicht nur ein barrierefreies Ausstellungsprogramm entwickeln, dass sich vorrangig an ein Publikum richtet, sondern alle Berufsfelder im Kulturbereich inklusionsorientiert ausgerichtet sind. Dass auch in den Sammlungen Künstler/inn/en mit Behinderungserfahrung vertreten sind, dass auch Kulturakteur/innen mit Behinderungserfahrungen einen Zugang erhalten, weil sie bisher durch schulische Ausschlüsse und Ausschlüsse im Studium bisher gar keine Möglichkeiten hatten, sich zu präsentieren. Und ganz klar wünsche ich mir eine Leitung, die selbst Diskriminierungserfahrung erlebt und auch noch mal aufgrund ihrer Verantwortung eine neue Haltung in das Haus bringt, dass Inklusion und Diversität viel selbstverständlicher gelebt werden. 

Das war Andreas Krüger. Referent für Barrierefreiheit und Inklusion der Berlinischen Gemäldegalerie. 

Ich bin Andreas Brüning vom iXNet-Team. iXNet ist ein Angebot der Bundesagentur für Arbeit, konkret: der Arbeitsvermittlung für schwerbehinderte Akademiker (ZAV). 

Jingle ixnet…