Rineke Dijkstra

Still — Moving
Portraits 1992 – 2024

Foto: Zwei Jungen stehen vor einer niedrigen Ballustrade aus Beton, im Hintergrund ist das Meer zu sehen. Beide tragen Sportkleidung und blicken direkt in die Kamera.

Rineke Dijkstra, Odessa, Ukraine, August 6, 1993

© courtesy of the artist, Galerie Max Hetzler, Marian Goodman Gallery and Galerie Jan Mot

Rineke Dijkstra (* 1959 ) zählt zu den renommiertesten Foto- und Videokünstler*innen weltweit. Die Darstellung von Identität ist das zentrale Thema ihrer Porträts. Insbesondere faszinieren sie Lebensphasen und Momente, in denen diese sich formt – Kindheit und Jugend, aber auch prägende Ereignisse im Erwachsenenalter wie die Geburt eines Kindes. Die umfassende Retrospektive in der Berlinischen Galerie präsentiert acht Serien mit rund 80 Arbeiten von Anfang der 1990 er Jahre bis heute – darunter einige Fotografien aus ihrem Archiv, die bisher nicht öffentlich zu sehen waren. Ihre auf das Wesentliche reduzierten Arbeiten sind zugleich von großer visueller Kraft und machen es Betrachter*innen leicht, eigene Zugänge zu finden. Sie bieten einen geradezu meditativen Raum und ermutigen, über Individualität, (Selbst-)Inszenierung und den Ausdruck von Persönlichkeit nachzudenken.

Dijkstra begreift die Kamera als Möglichkeit, sich intensiv mit Menschen auseinanderzusetzen. Behutsam nähert sie sich an, folgt langsam und konzentriert ihrem Konzept, schließt jedoch spontane Weiterentwicklungen oder Variationen nicht aus. Häufig baut sie eine langwährende und intensive Verbindung zu den Porträtierten auf. Diese empathische Vorgehensweise zeigt sich in ihren Fotografien durch eine besondere Sensibilität: Dijkstras Arbeiten fangen fragile Momente, subtile Gesten ein, die zwischen bewusster Pose und unbewusster Haltung liegen. Sie vermag es, die Würde ebenso wie die Unsicherheiten von Individuen herauszuarbeiten. Die Künstlerin arbeitet mit einer 4x5 -Zoll- Großformat-Plattenkamera, mit der sie ihre Motive frontal fotografiert. Das Ergebnis sind Bilder von außergewöhnlicher Detailtreue und Präzision, deren Komposition bis ins Detail durchdacht und umgesetzt ist. Da für jede Belichtung ein separates Filmblatt erforderlich ist, spielen Geduld, Zeit und Konzentration sowohl für die Fotografin als auch das Modell eine essenzielle Rolle. Gleichzeitig entspannen sich die Porträtierten während dieser Vorbereitungen und gewöhnen sich an die ungewohnte Situation. Die Porträts reflektieren nicht nur, wie wir uns der Welt präsentieren, sondern auch, was es heißt, medial dokumentiert zu werden. Sie können geradezu als Studien des menschlichen Verhaltens vor der Kamera bezeichnet werden. Gerade vor dem Hintergrund der Allgegenwärtigkeit von Sozialen Medien bieten sie die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Authentizitätsansprüchen von Bildern und sich wandelnden Strategien der (Selbst-)Inszenierung.

  • Alle Ausstellungstexte liegen in Deutsch und Englisch vor.
  • Es gibt keine Informationen in Leichter Sprache.
  • Es gibt keine Informationen in Deutscher Gebärdensprache (DGS).
  • Es finden Bildungsangebote in und mit DGS statt.
  • Es gibt zwei nicht beleuchtete Räume mit Videoarbeiten. Die Videoarbeiten haben Ton und Untertitel in englischer Sprache. Zusätzlich ist eine Transkription in deutscher Sprache per QR-Code über das eigene Smartphone abrufbar.
  • Es besteht keine Hörverstärkung in Form von Induktionsanlagen und Halsringschleifen.
  • Die Ausstellung ist stufenlos zugänglich.
  • Exponate und Ausstellungstexte sind überwiegend im Sitzen einsehbar und lesbar.
  • Es gibt Sitzgelegenheiten. Rollstühle und tragbare Klapphocker können Sie an der Garderobe kostenfrei entleihen.
  • In der Ausstellung sind die Kunstwerke gleichmäßig hell ausgeleuchtet. Die Ausstellungstexte sind überwiegend visuell kontrastreich gestaltet.
  • Alle Ausstellungstexte liegen als Broschüre in Großdruck vor. Diese finden Sie am Eingang der Ausstellung.
  • In der Ausstellung gibt es kein Bodenleitsystem und keine Tastmodelle.

Informationen zur Zugänglichkeit des Museums finden sie hier.

Haben Sie weitere Fragen zur Barrierefreiheit und Zugänglichkeit? Wenden Sie sich an Andreas Krüger, Referent für Barrierefreiheit und Inklusion, per E-Mail unter krueger@berlinischegalerie.de oder telefonisch unter +49 (0)30-789 02-832.

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Mit Sophie Angelov, kuratorische Assistenz

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Werkgruppen
in der Ausstellung

Dijkstras Werk gliedert sich in Gruppen, an denen die Künstlerin teilweise über Jahre hinweg arbeitet.

(1992–1998)
Kurz nach einem Fahrradunfall entstand 1991 ein Selbstporträt Rineke Dijkstras im Badeanzug, aufgenommen im Marnixbad in Amsterdam. Nach Angaben der Künstlerin war dieses ungeschönte Selbstporträt der Auslöser, die Serie der Beach Portraits zu beginnen, die heute zur bekanntesten Werkreihe innerhalb ihres Werks zählt. Zunächst in den Niederlanden, dann in South Carolina (USA) und in der Folge in einer Reihe weiterer Länder in West- und Osteuropa, darunter Polen und Ukraine, fotografierte sie Jugend-liche am Strand, alleine oder in Gruppen. Den Hintergrund bilden stets das Meer und der Himmel. Die Jugendlichen nehmen bisweilen stereotype Posen ein, suchen nach einer Position für Füße und Hände. Außer der Badebekleidung gibt es keine Accessoires. In der Gruppe wirken die jungen Menschen entspannter. Sie berühren, umarmen einander, suchen Halt und stabilisieren sich gegenseitig.

Almerisa (seit 1994)
Im Jahr 1994 besuchte Rineke Dijkstra eine niederländische Geflüchtetenunterkunft, um Kinder für ein Kunstprojekt zu fotografieren und auf deren prekäre Lebenssituation aufmerksam zu machen. Dabei weckte besonders die sechsjährige Almerisa ihr Interesse. Das Mädchen war mit seinen Eltern wenige Jahre nach Ausbruch der Jugoslawienkriege aus Bosnien geflüchtet. Dijkstra fotografiert Almerisa seit dieser ersten Begegnung fast alle zwei Jahre. Die Fotoserie zeigt den Wandel von einem schüchternen, jungen Mädchen hin zu einer eleganten, selbstbewusst in die Kamera blickenden Frau, die inzwischen Mutter geworden ist.

Olivier (The French Foreign Legion) (2000–2003)
Einen Prozess des Wandels zeigt auch die Werkserie zu Olivier. Im Alter von 14 Jahren hatte er beschlossen, der Französischen Fremdenlegion beizutreten. Bis sein Traum in Erfüllung gehen konnte – die Bewerbung ist frühestens mit 17 Jahren möglich – bereitete er sich vor, indem er nachts seinen Körper trainiert. Dijkstra begann die Serie am Tag der Aufnahme Oliviers in die Legion und dokumentierte über fünf Jahre und verschiedene Einsätze seine physische und mentale Entwicklung vom Teenager zum erfahrenen Soldaten. Die Arbeit widmet sich nicht nur der Entwicklung Oliviers, sondern hinterfragt auch die Art und Weise, wie Betrachtende eigene Vorstellungen von Identität, Macht und Männlichkeit auf ihn projizieren.

Seit 2002 fertigt Rineke Dijkstra Familienporträts an, als Auftragsarbeiten, aber auch aus eigener Faszination für das Genre. Sie konzentriert sich dabei ausschließlich auf Kinder. Die Anwesenheit der Eltern wird durch das häusliche Umfeld, die Kleidung und im Verhalten des Nachwuchses spürbar. Hohe Fenster, Parkettböden, repräsentative Einrichtungsgegenstände und andere Details geben Hinweise auf die privilegierte Welt, in der diese Kinder aufwachsen und in der sie sich vermutlich ebenso selbstverständlich auch als Erwachsene bewegen werden. Die Gruppenporträts offenbaren dabei auch subtile Dynamiken unter den Geschwistern. Manche sehen sich ähnlich, andere weniger, doch vermitteln sie ein Gefühl von Verbundenheit. Gleichzeitig versuchen alle, auf ihre eigene Art hervorzustechen und ihre individuelle Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Beim Betrachten entstehen unweigerlich Fragen, was aus den Kindern geworden ist.

New Mothers (1994)
Die „New Mothers“ gehören zweifellos zu den intimsten Porträts, die Rineke Dijkstra in ihrer künstlerischen Laufbahn realisiert hat. Dijkstra hat die Porträts in den Wohnungen der Frauen aufgenommen – es handelt sich um Bekannte und Freundinnen, die ihr Kind zuhause zur Welt gebracht haben, was in den Niederlanden üblicher ist als in anderen Ländern des westlichen Kulturkreises. Nur wenige Stunden nach der Geburt halten die „neuen Mütter“ nackt ihre Neugeborenen im Arm. Sie sind gezeichnet von den Strapazen und strahlen zugleich Glück und Zufriedenheit aus.

Bullfighters (1994 und 2000)
Beim portugiesischen Stierkampf versuchen die Forcados genannten „Bullfighters“, den Stier allein mit Muskelkraft zu Boden zu zwingen. Dijkstra porträtiert die jungen Männer unmittelbar nach dem ritualisierten Kampf – erschöpft, mit blutverschmiertem Gesicht, die fein bestickten Jacken schmutzig und zerrissen.

(1998–2006)
Eine im Berliner Tiergarten aufgenommene Porträtreihe, die 1998/1999 während Rineke Dijkstras Aufenthalts in der Stadt im Rahmen des DAAD-Künstler*innenprogramms entstand, ist Ausgangspunkt für die Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Sie zeigt Kinder und Jugendliche, die Dijkstra bei ihren Erkundungen im Park angesprochen hat, abseits des freizeitlichen Trubels vor hochsommerlicher, tiefgrüner Vegetation. Die künstlich angelegten, letztlich städtischen Landschaften sind eine Simulation von Natur, von Wäldern und Wiesen. Gleichzeitig wohnt den Parks durch das üppige Grün und die Licht- und Schattenwirkung etwas Unheimliches inne. Dass es sich um eine kontrollierte, domestizierte Form von Natur und Vegetation handelt, ist nicht in jedem der Fotos ersichtlich. Dijkstra führte die Reihe in weiteren städtischen Parks fort, z.B. im Vondelpark in Amsterdam oder im Parque de la Ciutadella in Barcelona.

Neben den fotografischen Arbeiten entstehen auch immer wieder Videoarbeiten. Die Fotografie wird in die Produktion integriert und parallel zum Bewegtbild entstehen Stills, die Dijkstra als autonome Werke sieht und präsentiert.

Die Experimente mit Bewegtbildern reichen bei Rineke Dijkstra in die Jahre 1996/97 zurück. Für „The Buzz Club, Liverpool, UK/Mystery World, Zaandam, NL 1996-97“ sprach Dijkstra Jugendliche in Nachtclubs an, die ihr interessant erschienen. Unbeaufsichtigt von ihren Eltern, probieren sich die Jugendlichen aus, ziehen sich für den Abend besonders an, testen ihre sexuelle Anziehungskraft und experimentieren mit ihren Körpern. Sie sind keine Kinder mehr und befinden sich in einer Phase der Transformation und damit in einer emotional aufwühlenden und von Konflikten geprägten Zeit. Jugend als ein zentraler Mythos der Moderne ist aufgeladen mit Fragen der Selbstfindung, der Rebellion, aber auch der Konformität. Bereits ein Jahr bevor die Videoarbeit entstand, porträtierte Rineke Dijkstra die Jugendlichen im Buzz Club (1995). Die Berlinische Galerie präsentiert einige bisher unveröffentlichte Fotografien dieser Serie, welche die Künstlerin kürzlich in ihrem Archiv wiederentdeckte.

Biografie

Rineke Dijkstra wurde 1959 in Sittard in den Niederlanden geboren. Von 1981 bis 1986 besuchte sie die Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam. Sie wurde u.a. mit dem Johannes Vermeer Prijs (2020), dem Hasselblad Foundation International Award in Photography (2017), SPECTRUM, Internationaler Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen (2017) und dem Citibank Private Bank Photography Prize (1999) ausgezeichnet. Retrospektiven ihres Gesamtwerks waren im Museum De Pont, Tilburg, Niederlande (2018), im Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, Dänemark (2017), im San Francisco Museum of Modern Art und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York (2012) zu sehen. Im Jahr 2013 zeigte das Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt die weltweit erste umfassende filmische Retrospektive der niederländischen Künstlerin.

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