Logo der Berlinischen Galerie
Rückblick

Kotti-Shop/
SuperFuture

Formen der Verhandlung

Collage: In schwarz-weißem Druck sind Gebäudeteile des Kotti (Kottbusser Tor) und Fliesen zu sehen. Der Vordergrund zeigt eine leuchtend gelbe Kleberolle mit der Aufschrift „Allgemeingut / Common Property“.

Kotti-Shop / SuperFuture, Collage

© Stefan Endewardt

Der Kunst- und Projektraum „Kotti-Shop“ befindet sich seit 2008 im Erdgeschoss des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor. An diesem Ort mitten in Berlin haben Julia Brunner und Stefan Endewardt als Kotti-Shop/SuperFuture zusammen mit den Nachbar*innen eine gemeinschaftliche künstlerische Praxis etabliert. Neben dem Verweilen gehören
dazu unter anderem großformatige Installationen im Außenraum, gemeinschaftliche Spielplatzplanung und das wöchentliche Format „collagebasiertes Kaffeetrinken“. Die Kunst ist prozesshaft, eng mit dem urbanen Umfeld verbunden und verfolgt einen emanzipativen Anspruch. Sie schätzt die Vielstimmigkeit der Nachbar*innenschaft, versteht öffentlichen Raum als schützenswertes Allgemeingut und fördert gemeinschaftliche Prozesse der Gestaltung und Verhandlung.
In der Berlinischen Galerie präsentieren Kotti-Shop/SuperFuture ihre Arbeitsweisen und deren Rahmenbedingungen in Form einer audio-visuellen Montage. Stoffbahnen zeigen vergrößerte Zeichnungen der Umgebung rund um die Haltestelle Kottbusser Tor. Ein dreidimensionales, schwarzes Raster strukturiert den Raum und dient zugleich als Display.

  • Alle Wandtexte  liegen in Deutsch und Englisch vor. Die Präsentation beinhaltet Texte ausschließlich in deutscher Sprache.
  • Es gibt keine Informationen in Leichter Sprache.
  • Es gibt keine Informationen in Deutscher Gebärdensprache (DGS).
  • Die Installation beinhaltet Tonsequenzen. Es besteht keine Hörverstärkung in Form von Induktionsanlagen und Halsringschleifen.
  • Die Präsentation ist stufenlos zugänglich. Es gibt einzelne Unebenheiten in Form von Kabelbrücken.
  • Exponate und Texte sind überwiegend im Sitzen einsehbar und lesbar.
  • Es gibt Sitzgelegenheiten. Rollstühle und tragbare Klapphocker können Sie an der Garderobe kostenfrei entleihen.
  • Die Wandtexte liegen als Broschüre in Großdruck vor. Diese finden Sie am Eingang des Raums.
  • Im Raum gibt es kein Bodenleitsystem und keine Tastmodelle. Alle Objekte im Raum können angefasst werden.
  • Innerhalb der Installation gibt es einen Workshop-Bereich, der von Gruppen genutzt wird. Dies kann zu einer erhöhten Geräuschkulisse führen.

Haben Sie weitere Fragen zur Barrierefreiheit und Zugänglichkeit? Wenden Sie sich an Andreas Krüger, Referent für Barrierefreiheit und Inklusion, per E-Mail unter krueger@berlinischegalerie.de oder telefonisch unter +49 (0)30-789 02-832.

Film zum Projekt

Kapitel

In drei Kapiteln geben Audiobeiträge, Zeichnungen, collagierte Stadträume, Fotografien und Texte aus der Sammlung von Kotti-Shop/SuperFuture die Themen der Nachbar*innenschaft wieder. Darin zeigen sich die Veränderungen des städtischen Umfelds und es werden sowohl Konflikte als auch Potentiale sichtbar. Außerdem bietet die Installation Platz für Workshops und Programme. In unterschiedlichen Formaten sind Besucher*innen eingeladen, zu verweilen und bei der Zeichenaktion „unendliche Stadt“ selbst zu zeichnen. Das Museum hat über die letzten zehn Jahre seine Bildungs- und Outreacharbeit kontinuierlich ausgebaut und Netzwerke in der Umgebung ausgebaut. Das Projekt von Kotti-Shop/SuperFuture setzt dieses Engagement im Ausstellungsraum weiter fort.

 

Das Kottbusser Tor als räumlicher Bezugspunkt

Der Stadtraum ist Anlass und Gegenstand der künstlerischen Arbeiten von Kotti-Shop/SuperFuture. Das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ), in dem sich der Projektraum befindet, wurde 1974 fertiggestellt und bietet Wohnraum für mehr als 1.000 Menschen. Es befindet sich an der Nordseite des Kottbusser Tors. An dem Platz treffen verschiedene Straßenzüge und U-Bahnlinien aufeinander. Auf einem vergleichsweise kleinen Areal kulminieren Verkehrsknotenpunkt, Wohn- und Lebensraum. Der Ort ist durch verschiedene Stadtplanungskonzepte aus unterschiedlichen Zeiten geprägt: Es gibt sozialen Wohnungsbau aus den 1960er Jahren und einst sollte hier die Stadtautobahn entlang führen. Schließlich hat die sogenannte behutsame Stadterneuerung der 1980er Jahre die heutige räumliche Struktur stark beeinflusst. Seit einigen Jahren machen sich Gentrifizierungsprozesse bemerkbar. Die Mieten in den umliegenden Straßenzügen sind gestiegen, neue Gewerbezweige siedeln sich an und verdrängen gewachsene Strukturen. Das Gebiet weist keine homogene, nachbarschaftliche Struktur auf. Im Gegenteil, es existieren zahlreiche Mikrokosmen nebeneinander. Die künstlerischen Arbeiten von Kotti-Shop/SuperFuture gehen von der Nachbar*innenschaft des Hauses aus, in dem sich der Kunst- und Projektraum befindet, und thematisieren darüber hinaus Entwicklungen des weiteren Stadtraums.

 

Soziales Gefüge

Vor dem Kotti-Shop liegt von der Straße leicht zurück versetzt ein wichtiger Platz für die Anwohner*innen. Der Blockinnenhof bietet Raum, um zu spielen, sich zu treffen und zu verweilen - ein „urbanes Wohnzimmer“. Es ermöglicht aus der Vereinsamung auszutreten, zusammen zu kommen und fördert so gegenseitige Unterstützung und Fürsorge. Nachbar*innenschaften sind zufällige Ansammlungen von unterschiedlichen Personen. Sie bilden ein sozial-räumliches Gefüge - nicht selten treffen dabei verschiedene Lebenskonzepte und Ansichten aufeinander. Ein wesentlicher Teil der künstlerischen Arbeit von Kotti-Shop/SuperFuture ist das gemeinsame Verweilen. Dabei werden Beziehungen geknüpft und Ideen gesponnen. Kunstproduktion wird zu einer Form der Vergemeinschaftung. Sie bildet eine Basis, auf der sich die Nachbar*innenschaft organisiert und für ihre Interessen eintritt – wie beispielsweise bei der Planung und Gestaltung des Spielplatzes im Blockinnenhof. Hier werden unterschiedliche Haltungen und Anliegen berücksichtigt. Es geht um die Wertschätzung von Vielstimmigkeit und Aushandlung. Julia Brunner und Stefan Endewardt als Kotti-Shop/SuperFuture schaffen dafür einen Rahmen und agieren als Vermittler*innen.

Künstlerische Praxis

Kotti-Shop/SuperFuture ist über die Jahre Teil des nachbarschaftlichen Gefüges geworden. Mit ihrer künstlerischen Arbeit wollen sie den Menschen in der Umgebung etwas zurückgeben und sie stärken. Die Kunstprojekte haben eine kollektive Autor*innenschaft – es sind Gemeinschaftswerke. Die Installation in der Berlinischen Galerie zeigt künstlerische Arbeiten von Personen aus der Nachbar*innenschaft aus den letzten 15 Jahren. Das Thema ist der geteilte Stadtraum. Mit der Festlegung, dass immer in schwarz-weiß und ohne Farbe gearbeitet wird, gibt es einen klaren, formalen Rahmen. Er vereinfacht die Beteiligung von vielen, auch bei unterschiedlichen Voraussetzungen und künstlerischen Vorkenntnissen. Zeichnungen und fotografische Elemente lassen sich auf die Art gut verbinden und die Produktion ist schnell, ortsunabhängig und kostengünstig. Über die Zeit haben sich unterschiedliche Methoden und Techniken entwickelt wie das Abpausen von Stadtansichten auf dem Leuchttisch, das Collagieren von Fotografien, Zeichnungen und Text sowie Audioaufnahmen. So finden Gedanken und Wünsche der Beteiligten in Bezug auf Zusammenleben und Stadt ihren Ausdruck.

Fachtag. Urbanes Miteinander. Kunst, Fürsorge und Raumaneignung am Kotti
21. April 2024, 14–17 Uhr, Eintritt frei

Anhand von theoretischen Einordnungen aus zwei unterschiedlichen Feldern kontextualisiert der Fachtag die künstlerische Praxis von Kotti-Shop/SuperFuture. Dabei wird zum einen ihr transformatives Potential beschrieben. Zum anderen arbeiten die Vorträge Beziehungsarbeit und Fürsorge als zentralen Moment der Arbeit von Kotti-Shop/SuperFuture heraus und erörtern Möglichkeiten einer emanzipatorischen Stadterneuerung.

Begrüßung Thomas Köhler, Direktor, Berlinische Galerie

Moderation Kathrin Wildner, Stadtethnologin

„Ästhetik der Fürsorge“ Vortrag, Leila Haghighat

In sozial engagierter Kunst steht eine Beziehungsarbeit im Fokus, die als Fürsorgearbeit betrachtet werden kann. Diese liegt insbesondere im gemeinsamen Verweilen und Zuhören, im Bemühen, den*die Andere*n zu erkennen und zu verstehen. Künstler*innen nehmen in dieser Praxis eine Rolle ein, die sich an die durch Antonio Gramsci beschriebene Figur des organischen Intellektuellen annähert. Dies, indem sie durch diese Praxis der Fürsorge die vielfältigen Stimmen sammeln und repräsentieren und sie so in die Verhandlungen um die Nachbar*innenschaft einbringen. Dabei verdeutlicht die Betrachtung der organischen Intellektuellen als ‚Care Taker‘ den politischen Aspekt künstlerischer Beziehungspraxis.

Leila Haghighat ist derzeit Verwalterin der Professur für Kunstvermittlung an der HBK Braunschweig. Sie promoviert an der Akademie der Künste in Wien zum Thema des „double bind“ zwischen Befriedung und Ermächtigung in sozial engagierter Kunst. Hierbei fungiert die Praxis von Kotti-Shop/SuperFuture als eine ihrer Fallstudien.

„Kooperative Planungsweisen“ Vortrag mit Bilderflut, Dagmar Pelger

Mit dem Begriff Commons werden Ressourcen, die für alle zugänglich sind, wie Gewässer, Gebirge, Luft oder Sprache, aber auch die Stadt als Gemeingut bezeichnet. Ausgehend davon lassen sich in der Stadt zahlreiche Orte aufspüren, an denen eine selbstbeauftragte Planungsarbeit stattfindet, die als Commoning lesbar wird. Durch solche Praktiken des gemeinsamen Raumgebrauchs werden auch am Kotti Räume für Nachbar*innenschaft und Kunst sowie für den Kampf um verbleibende Raumressourcen offen gehalten und solidarisch geteilt. Wie lässt sich diese gemeinsame Planungsarbeit als emanzipatorische Stadterneuerung sichtbar machen und politisch operativ nutzen?

Dagmar Pelger ist Architektin und Teil von coopdisco in Berlin, einer Architektur- und Planungskooperative, die sich für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung einsetzt. Derzeit lehrt und forscht sie als Gastprofessorin für Nachhaltige Städte und Gemeinden am Fachbereich Architektur - Stadtplanung - Landschaftsplanung der Universität Kassel.

Panel-Diskussion

Julia Brunner und Stefan Endewardt (Kotti-Shop/SuperFuture), Leila Haghighat, Dagmar Pelger