Ginan Seidl zeigt im Videoraum zwei ganz unterschiedliche Arbeiten: „Spin“ beschäftigt sich mit dem Phänomen des Drehens bzw. der Rotation von Körpern. Seidl nutzt es als Ausgangspunkt, um Fragen nach Erkenntnisprozessen und den Grenzen unseres Wissens zu stellen. „Boy“, eine Gemeinschaftsarbeit mit Yalda Afsah, begleitet zwei afghanische Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen ein Leben jenseits tradierter Geschlechterrollen leben.
„Spin“ (2017, 80 Min.)
„Spin“ (2017, 80 Min.) ist ein essayistischer Film, der sich im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Weltanschauungen bewegt: Zum einen beschäftigt sich Seidl mit den meditativen Tänzen des Sufismus. In dieser spirituellen Praxis des Islam wird durch eine wiederholte Rotation des Körpers ein transzendenter Zustand angestrebt. Ziel ist es, mit einer göttlichen Instanz in Verbindung zu treten. Der andere zentrale Gegenstand der Arbeit ist der „Spin“ in der Quantenmechanik: Er bezeichnet den Eigendrehimpuls von Teilchen. Interessant ist, dass es auch in diesem Teil der Naturwissenschaft um ein Wissen jenseits der erfahrbaren Gewissheit geht: der Eigendrehimpuls ist eine theoretische Konstruktion, die nur formal-mathematisch dargestellt werden kann – und die sich an den Randzonen unseres Wissens bewegt.
„Boy“ (2015, 30 Min.)
Der Film „Boy“ (2015, 30 Min.), eine Gemeinschaftsarbeit mit Yalda Afsah, begleitet Farahnaz. Der afghanischen Tradition des „Bacha Posh“ folgend wächst das Mädchen als Junge auf. Nun, als Teenager, möchte Farahnaz nicht in ein Leben als Frau zurückkehren. Ebenfalls erzählt wird die Geschichte von Elaha Soroor, einer erfolgreichen afghanischen Sängerin, die inzwischen in London lebt. Sie hatte sich in ihrer Jugend als Junge verkleidet, um temporär freier agieren zu können. Die Arbeit beleuchtet komplexe Fragen nach Geschlecht, Identität und persönlicher Freiheit in der afghanischen Gesellschaft vor der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021.
Biografie
Ginan Seidl wurde 1984 in Berlin geboren. Sie studierte Kunst mit Schwerpunkt auf Skulptur und Neue Medien in Halle, Berlin und Mexiko. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im NRW Forum, Düs- seldorf, im Kunstmuseum Magdeburg, der Berlinale oder dem Tampere Filmfestival präsentiert.
IBB-Videoraum
Im IBB-Videoraum werden seit 2011 im monatlichen Wechsel Künstler*innen präsentiert, die mit zeitbasierten Medien arbeiten. Das Programm umfasst nicht nur etablierte Namen der zeitgenössischen Videokunst, sondern auch junge Positionen, die bisher kaum in Museen zu sehen waren. Ihnen soll in der Berlinischen Galerie ein erster institutioneller Auftritt ermöglicht werden. Jeder Monat erlaubt eine neue Auseinandersetzung mit Werken, die mediale oder auch politische und soziale Fragestellungen anstoßen. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, marginalisierten Perspektiven Raum zu geben und Auswirkungen von Machtstrukturen sichtbar zu machen.