Lebendes Baumaterial
Seit etwa 1000 Jahren formen die Khasi, indigene Bewohner*innen im Nordosten Indiens, aus den Luftwurzeln des Gummibaums Brücken. Diese lebenden Brückenbauwerke machen Flüsse und Täler passierbar und sind erdbebensicher. Sie werden über Generationen gepflegt und ausgebaut.
In Europa leitete man das Wachstum von Linden, um sie zu öffentlichen Orten dörflicher Bräuche auszubauen. In den Baumkronen wurde getanzt und gefeiert. Diese sogenannten Tanzlinden bildeten oft den Mittelpunkt von Dörfern. 2017 wurde auf dem Tempelhofer Feld in Berlin eine Tanzlinde gepflanzt.
Der Berliner Landschaftsarchitekt Arthur Wiechula glaubte in den 1920er Jahren aus lebenden Bäumen mehr oder minder problemlos Gebäude jedweder Art bauen zu können. Das Wachstum der Bäume wollte er so beeinflussen, dass diese miteinander verwachsen und geschlossene Räume bilden. Keine von Wiechulas abenteuerlichen Bauideen wurde allerdings je verwirklicht.
Eine eurozentristische und evolutionistisch gefärbte Perspektive verklärte das naturnahe Bauen lange als verlorener Urzustand. In der „Urhütte“ – gebaut aus allein natürlichen Materialien und mit einfachsten Methoden – sah die europäische Architekturtheorie besonders des 18. Jahrhunderts den Anfang der menschlichen Kulturtechnik, bewohnbare Räume zu schaffen. Dieses zwiespältige Idealbild zeigt sich in einer architektonischen Abhandlung von 1753 als eine in den natürlichen Baumbestand hineingebaute „Urhütte“.