Rückblick

3hd 2022

Creamcake zeigt das Kurzfilmprogramm „Deep Thought“ in der Berlinischen Galerie

Creamcake, Life the Universe and Everything, 3hd-Festival 2022

Creamcake, 3hd 2022: Life, the Universe, and Everything

© Creamcake

Im Rahmen ihres 3hd 2022 Festivals ist Creamcake mit dem Filmprogramm “Deep Thought” zu Gast in der Berlinischen Galerie. Der Titel ist eine Anspielung auf den Supercomputer in Douglas Adams‘ Science-Fiction-Komödie “Per Anhalter durch die Galaxis” („PADG“) von 1978. Dieser zweitstärkste Datenprozessor des Kosmos – wie sich herausstellt, ist die Erde der stärkste – bedroht die Existenz intellektueller Arbeiter*innen, die ihr Leben damit verbringen, über den Sinn des Daseins nachzudenken. Als Vertreter*innen der Vereinigung von Philosoph*innen, Weisen, Erleuchteten und anderen Denker*innen drohen sie mit Streiks, wenn ihnen nicht klar definierte Bereiche des Zweifels und des Ungewissen zugesichert werden. “Deep Thought” steht in diesem Zusammenhang für die künstliche Intelligenz als Kränkung des menschlichen Selbstverständnisses.

4 Filme von 4 Künstler*innen

Vier Filme von vier Künstler*innen prüfen unsere Begriffe des Interstellaren und des Lebens auf der Erde: von globalisierter Vernetzung über Betrachtungen unserer Handelswege bis hin zu Fragen des Terraforming entfernter Planeten.

Da wäre zum Beispiel Shuang Lis fiktionalisierte Darstellung der Beziehung einer französischen Mutter zu einem jungen chinesischen Signalwesten-Fabrikarbeiter, der an der Produktion eines allgegenwärtigen Symbols der Industrie beteiligt ist, während Agnieszka Polska mit ihrer poetischen Collage unsere Auffassung von Alltag hinterfragt, inspiriert durch ein 1990 von der Raumsonde Galileo aus durchgeführtem Experiment, die zur Untersuchung des Jupiter ins All geschickt worden war. Alice Bucknell verbindet in ihren 3D-animierten Arbeiten Worldbuilding, Künstliche Intelligenz und spekulative Fiktion, um ihre Kritik an aktuellen architektonischen Entwürfen zur Kolonisierung des Mars zu formulieren. Oder Josèfa Ntjam, die mit Personaeine ganz andere Form der Raumforschung unternimmt: eine fiktive Figur, die eingenommen ist von den Erinnerungen ihrer Ahnen an den Kampf um Kameruns Unabhängigkeit, steht im Zentrum dieses Films, der die sich gegenseitig bedingenden Verknüpfungen von Zeitlich- und Geschichtlichkeit, hybriden Körpern und Geografien untersucht.

Zwischen Weltraum-Experimenten auf der Suche nach der Existenz von Leben und kosmischen Rekonfigurationen unserer Geschichte durch das Wiederaufleben bislang unterdrückter Stimmen und Erzählungen, entschieden sich die Kurator*innen von Creamcake dazu, lieber in diesen vier menschlichen Gehirnen nach den “ultimativen” Antworten zu suchen, statt bei ihren maschinenähnlichen Pendants. Wenn der Erzähler aus PADG also fragt: “Kann ein bloßer Computer die Probleme des Lebens, des Universums und von allem lösen?”, also “of Life, the Universe, and Everything” – so lautet die Antwort vermutlich, hoffentlich, “nein.”

Programm 3hd 2022
„Deep Thought“

Shuang Li „I Want to Sleep More but by Your Side“ (2018-2019)

Im Fokus der in Berlin und Genf lebenden Künstlerin steht ein einzelnes Produkt und die Betrachtung seiner Bildsprache: die gelbe Weste. Hergestellt im chinesischen Yiwu, von dort aus global in Umlauf gebracht, entwickelte sie sich in Frankreich zum Symbol einer sozialen Bewegung. Anhand einer fiktionalen Geschichte über die Online-Beziehung einer französischen Mutter zu einem jungen chinesischen Fabrikarbeiter, der in solch einer Signalwesten-Fabrik angestellt ist, erörtert Li das Wesen digitaler Beziehungen und Begierden. Zugleich beleuchtet sie den Zusammenhang von digitaler Landschaft und materieller Infrastruktur sowie den Logistiksystemen, die beides zusammenhalten. Und was noch viel wichtiger scheint: die Risse, die zwischen den Sphären verlaufen.

Josèfa Ntjam „Dislocation“ (2022)

Josèfa Ntjam hinterfragt Kategorien und Labels durch deren Dekonstruktion. Die Reise von Ntjams Figur namens Persona führt an Zyklen und Verstrickungen entlang. Sie ist stets auf der Suche nach den sich gegenseitig bedingenden Verknüpfungen von Zeitlichkeit und Geschichte, durch hybride (manchmal monströse) Körper oder Geografien hindurch, die sich sowohl aus dem Vertrauten wie dem Nicht-Vertrauten zusammensetzen. Dabei sieht sich Persona nahezu unmerklich von den Erinnerungen ihrer Vorfahr*innen an den Kampf um Kameruns Unabhängigkeit eingenommen; in ihr finden diese Erzählungen einen Ort, an dem sie überdauern können. Ntjam geht es um die Aufarbeitung von Geschichte anhand inoffizieller, persönlicher Quellen und um das Gehör von Stimmen, die in der Vergangenheit unterdrückt oder an den Rand gedrängt worden sind. Dichtung, Erinnerung, Träume, Wirklichkeit, Mythen, das Künstliche und das mündlich Weitergegebene – letzteres untrennbar verbunden mit Sound, Vibration und Worten – befinden sich in Ntjams Werk als gleichwertige Bausteine von Geschichtsschreibung in ständiger Rekonfiguration zueinander – mit dem Ziel, das historische Vermächtnis zu korrigieren.

Agnieszka Polska „Perfect Lives“ (2019)

In ihrem Film betrachtet Agnieszka Polska einen Kontrollversuch aus dem Jahr 1990, der stattfand, als die Raumsonde Galileo auf ihrem Weg zum Jupiter an der Erde vorbeizog. Die Wissenschaftler*innen wollten mit diesem Experiment untersuchen, ob das von Galileo aus gesendete Datenmaterial die Existenz von Leben auf der Erde bestätigen kann. Der Film ist als ein dichtes und hypnotisierendes Essay konzipiert. Dynamisch zusammengeschnittene Sequenzen aus Archivmaterial und an den Sound von Videospielen angelehnte Musik erzeugen eine melancholische Atmosphäre. Hunderte kurzer Stock-Videos bilden die Grundlage dieser poetischen Collage, die die Bandbreite des menschlichen Alltags abbildet und eine Vielzahl von Themen anreißt: Geschäftstreffen, Naturbetrachtungen, Gruppentherapien, Ehe, Einsamkeit oder Verbrechen. Diese hochgradig unwahrscheinlichen Situationen scheinen die Existenz des Lebens selbst in Frage zu stellen: Sie sind der Beweis, dass die westliche Vorstellung von Leben nichts weiter ist als Illusion.

Alice Bucknell „The Martian Word for World is Mother“ (2022)

Alice Bucknell verbindet Elemente spekulativer Fiktion, 3D-Weltenbau, Künstliche Intelligenz und die Kritik an aktuellen architektonischen Entwürfen zur Besiedlung des Planeten Mars. So erkundet sie drei unterschiedliche Mars-Welten mit ebenso unterschiedlichen Auffassungen über die Zukunft des Roten Planeten und wer diese bestimmt. Das narrative Fundament für Bucknells Werk sind klassische und zeitgenössische Science-Fiction, Donna Haraways Theorie des Nicht-Menschlichen und der Diskurs um die aufstrebenden Weltraum-Ökonomien. Das Projekt verdeutlicht die Grenzen unserer Sprache in Bezug auf jene Weltraumforschung, die sich nicht automatisch menschlichen Besiedlungsbestrebungen widmet. Stattdessen wendet es sich politischen, wirtschaftlichen, technologischen und linguistischen Aspekten zu, die für die Debatten rund um den Mars prägend sind.

3hd 2022: Life, the Universe, and Everything

Das achte Creamcake 3hd Festival findet in diesem Jahr vom 20. bis zum 29. Oktober an zahlreichen Orten in Berlin und online statt. Das Thema „Life, the Universe, and Everything“ steht für die ultimative Frage, auf die der Supercomputer in Douglas Adams‘ Science-Fiction-Komödie “Per Anhalter durch die Galaxis” programmiert wurde. Verschiedene Künstler*innen, Performer*innen, Musiker*innen und DJs befassen sich mit unserem Verständnis von Identität, Zugehörigkeit und Existenz im grenzenlosen Raum – in all seinen physischen, konzeptionellen und sprachlichen Formen. Sie präsentieren ihre Perspektiven auf Vorstellungen von Utopie und Dystopie, Natur und Menschheit, Universum und Metaversum und darüber hinaus.

Alle Arbeiten finden sich auch auf 3hd.tv

Das Programm wird ermöglicht mit freundlicher Unterstützung des Landes Berlin und Der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

Creamcake

Creamcake (CC) ist eine interdisziplinäre Plattform aus Berlin, die die Schnittstellen von elektronischer Musik, zeitgenössischer Kunst und digitalen Technologien untersucht. Fernab von normativen gesellschaftlichen Strukturen, bewegt sich Creamcake innerhalb des fluiden Prozesses zwischen Gedanke und Handlung und verhandelt die gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit mit diversen Projekten neu. CC organisiert Performances, Konzerte, Ausstellungen, Symposia, DJ Sets, digitale Projekte und Workshops, und das 3hd Festival (2015-heute).

IBB-Videoraum

Im IBB-Videoraum werden seit 2011 im monatlichen Wechsel Künstler*innen präsentiert, die mit zeitbasierten Medien arbeiten. Das Programm umfasst nicht nur etablierte Namen der zeitgenössischen Videokunst, sondern auch junge Positionen, die bisher kaum in Museen zu sehen waren. Ihnen soll in der Berlinischen Galerie ein erster institutioneller Auftritt ermöglicht werden. Jeder Monat erlaubt eine neue Auseinandersetzung mit Werken, die mediale oder auch politische und soziale Fragestellungen anstoßen. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, marginalisierten Perspektiven Raum zu geben und Auswirkungen von Machtstrukturen sichtbar zu machen.