Rückblick

Queeres
(Auf–)Begehren

XPOSED Kurzfilme Online

Das internationale Filmfestival „XPOSED Queer Film Festival Berlin“ ist bekannt für seine experimentelle Ausrichtung und breite Interpretation des „Queeren“. Zusammen mit der Berlinischen Galerie hat XPOSED sechs Kurzfilme aus früheren Jahrgängen des Festivals sowie dem kommenden Programm ausgewählt.

Abdullah Qureshi, Journey To Charbagh, 2019 (video still)

Abdullah Qureshi, Journey To CharBagh, 2019 (video still)

© Hadi Rehman

Die Arbeiten bilden formal, geografisch und thematisch ein breites Spektrum ab: Kompilationsfilme wie „Playback“ über die Drag- und Trans*-Szene der 1980er in Cordoba, Argentinien, ein Porträt des*der ghanaischen Performance-Künstler*in „Va-Bene“ oder das audiovisuelle Essay „Galatée à l‘Infini“, das die Unterwerfung des weiblichen Körpers thematisiert. Körperlichkeit ist hier ein Schlüssel zur Befreiung. Sie ist der Ausgangspunkt nicht nur für die Suche nach neuen Formen des Ausdrucks, sondern auch des Ausbruchs, wie in den immersiv-poetischen Reflexionen über Queerness in „Journey to the CharBagh“ und „Pirate Boys“. Auch in „Batería“ werden Selbstbestimmung und Aneignung behutsam zelebriert. Eine einsame Kamera streift durch eine ganz besondere Cruising Area und sehnt sich nach utopischen Räumen in der Gegenwart. Das Filmprogramm ist im Rahmen des Online-Projekts „Out and About. Queere Sichtbarkeiten in der Sammlung“ entstanden.

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Programm

Brenda Jorde, Va-Bene, GH/D 2018, 11 Min.

Va-Bene ist Performance-Künstler*in und steht dabei nicht auf der Bühne, sondern schlendert durch die Straßen und fordert die Passant*innen heraus: Was wird wahrgenommen, wie wird wahrgenommen? Täglich transformiert Va-Bene sich zu einer Kunstfigur, zu einem politischen Subjekt. Das eigene Leben und die Kunst verschmelzen. In der Ausdruckskraft von Weiblichkeit liegt für Va-Bene die Möglichkeit der politischen Konfrontation. Um dieses Potential zu nutzen, musste Va-Bene die erlernten, restriktiven, mitunter religiös geprägten Vorstellungen von ‚Geschlecht‘ zunächst selbst dekonstruieren. Kunst ist dabei Werkzeug, Selbstzweck, Therapie und Antwort auf Unterdrückung – und zugleich eingebettet in Machtverhältnisse. „Ich bin kein*e afrikanische*r Künstler*in. Ich bin ein*e Künstler*in, die aus Afrika kommt.“ Brenda Jordes leichtfüßige Dokumentation porträtiert eine*n leidenschaftliche*n Performance- Künstler*in mit ausgeprägtem Drang nach Veränderung.

Damian Sainz, Batería, CU 2016, 16 Min.

Eine Ruine im Dschungel. Langsam streift die einsame Kamera durch verlassene Räume, begleitet von den atmosphärischen Tönen des Waldes, im Hintergrund die nahe Großstadt. Die Kamera tastet sich entlang der verfallenden Mauern. Wände voller Spuren, die einst Hiergewesene hinterlassen haben. Karikaturen des Begehrens, der Präsenz: Wir waren hier, es hatte Bedeutung. Eine Stimme aus dem Off erzählt einfühlsam von den Geheimnissen des Ortes, der die Hauptrolle spielt in Damian Sainz’ Film. Das Gebäude, einst eine Festung im Hafen von Havanna, dann Militärbasis und Museum, ist heute Rückzugsort für schwule Männer. Es ist eine besondere Cruising Area, abgeschieden und aus der Zeit gefallen, die mit Hoffnungen auf einen utopischen Raum verbunden ist, mit der Sehnsucht nach einem Ort der Geborgenheit und einem sicheren Leben nur unter Schwulen.

Pol Merchan, Pirate Boys, D 2018, 13 Min.

Wie werden Körper gelesen, wie ihre Narben? „Twirl“, ein Porträt der Punk-Autorin Kathy Acker (1947–1997), bildet den Ausgangspunkt für ein Gespräch mit dem intersexuellen Fotografen Del LaGrace Volcano (*1957) über queere Bindungen, Gender-Identität und Transformation. Die beiden Künstler*innen verband die Ablehnung der zugeschriebenen Bedeutung von ‚Weiblichkeit‘ und die Sehnsucht nach Hybridität. Dieser Hybridität verleiht „Pirate Boys“, gefilmt mit Super 8, auch auf formaler Ebene Ausdruck. In einer Mischung aus Dokumentation, Fiktion und performativer Exploration wirft Pol Merchan Fragen zur Transsubjektivität und Revolte auf: „Wenn der Körper der einzige Ort ist, zu dem zurückgekehrt werden kann, ist es vielleicht an der Zeit, den Boden für die nächste Transformation vorzubereiten.“ „Pirate Boys“, gedreht im 1981 besetzten „Tuntenhaus“ in Berlin, ist auch eine Hommage an die PunkÄra, mit der Kathy Acker und ihre anti-formalistischen Romane assoziiert werden. Pol Merchan verbindet Auszüge aus ihrem Roman „Pussy, King of the Pirates“ (1995) mit der dem Körper inhärenten, eigenen Sprachlichkeit – und schenkt genderqueeren Gesetzlosen ein neues Zuhause.

Agustina Comedi, Playback, AR 2019, 14 Min.

„Nacht für Nacht, mit jedem Playback, haben wir den Diven ein bisschen von der Ewigkeit geraubt, die uns die Welt verweigert hat“, heißt es aus dem Off in Agustina Comedis berührender Dokumentation. Córdoba, Argentinien, in den späten 1980ern: Transfrauen und Drag Queens feiern sich selbst und das Leben. Es ist eine Zeit des Überlebens in einem katholischen, konservativen Land kurz nach der Militärdiktatur. „Denn wenn wir uns selbst keine Awards geben würden, wer würde es dann machen?“ 1983 endet die Diktatur, die Restriktionen nehmen etwas ab. Im selben Jahr beginnen die Shows: Auf der Bühne – und nur auf der Bühne – dürfen sich die Protagonist*innen des Films ‚als Frauen kleiden‘. Nacht für Nacht singen und tanzen sie, zeigen ihre Kleider und verwundeten Seelen. Ein Hauch von Freiheit liegt in der Luft. Dann kommt die Aids-Krise. Freund*innen sterben. Freund*innen, die gerade noch auf der Bühne standen. Gemeinsam mit „La Delpi“, der einzigen noch Lebenden aus der Gruppe von damals, imaginiert Regisseurin Agustina Comedi ein Happy End. „Playback“, kompiliert mit hinreißendem und berührendem VHS-Material, bringt die Shows der Untergrundbars auf die große Leinwand und erzählt so ein Stück queere Geschichte.

Abdullah Qureshi, Journey to the CharBagh, FI/PK 2019, 17 Min.

Schweres Atmen, rauschender Wind, schnaubende Pferde, flatternde Vögel. Ein Löwe brüllt, das Wasser kocht, dann setzt die Musik ein: „Journey to the CharBagh“ ist eine immersive audio-visuelle Erfahrung. Gestützt auf Traditionen der Sufis, die in ihrer Interpretation heiliger islamischer Schriften die Liebe und Gleichheit feiern, erkundet Abdullah Qureshi auf eindringliche Weise Queerness und Cruising. Sein poetischer, experimenteller Film ist Suche und Statement zugleich. Im Fokus steht Buraq, ein mythologisches, pferdeähnliches Wesen mit Flügeln, das die Fähigkeit besitzt, in den Himmel zu reisen – und dort auf irdische wie himmlische Wesen trifft. So beginnt die Reise zu spirituellem und queerem Erwachen, eine Reise durch die nicht kartografierten Regionen des Verlustes. „Can you suffer?“, fragt der Film – und zelebriert Erlösung. Dabei stützt sich das Bildmaterial auf ausgewählte Charaktere aus den Gemälden von Anwar Saeed (*1955) ebenso wie auf persönliche Erinnerungen und Begegnungen des Regisseurs. Gespräche mit seinen queeren, muslimischen Freund*innen prägen auch die Songtexte der Filmmusik, die der Musiker und Produzent „ZĀN“ komponiert hat.

Julia Maura, Mariangela Pluchino, Ambra Reijnen, Maria Chatzi, Fátima Flores Rojas, Galatée à l’infini, ES 2017, 17 Min.

Anatomische Zeichnungen weiblicher Geschlechtsorgane, frühe Filmaufnahmen von Fabrikproduktionen, Werbebilder für Gummipuppen und Sexroboterfrauen – „Galatée à l’infini“ ist ein furioser audiovisueller Essay voller assoziationsreicher Montagen über die Unterwerfung des weiblichen Körpers. Ausgangspunkt des Films ist der Mythos des Bildhauers Pygmalion, der sich – aufgrund von schlechten Erfahrungen zum Frauenfeind geworden – seine Idealfrau erschafft, die schließlich zum Leben erwacht. In der filmischen Adaption ist Galatea zunächst unfruchtbar, doch Pygmalions Berater – historische Medizinergrößen des 17. bis 20. Jahrhunderts – helfen, sie gebärfähig zu machen. So verwebt der Film den antiken Mythos mit der Geschichte der gynäkologischen Wissenschaft und ihrer Jahrtausende alten Feindseligkeit gegenüber weiblicher Lust, dem Primat der Reproduktion und ihrem Verhältnis zu wirtschaftlicher Produktion.

Das Film-Screening wurde in Zusammenarbeit mit und dank freundlicher Unterstützung von „XPOSED Queer Film Festival Berlin“ realisiert.